: Der kalte Krieg von Kiew
Trotz klirrender Kälte demonstrieren wieder Hunderttausende in der Ukraine. Oppositionsführer Juschtschenko fordert das Militär zur Teilnahme am Generalstreik auf. Das Oberste Gericht will die Wahl überprüfen. Vermittler fordern runden Tisch
KIEW/BERLIN afp/ap/taz ■ Schneetreiben, klirrende Kälte und spiegelglatte Straßen, doch der Wille zum Sieg scheint ungebrochen: Auch am vierten Tag in Folge demonstrierten gestern mehr als hunderttausend Ukrainer in Kiew und anderen Städten des Landes und forderten für ihren Kandidaten Wiktor Juschtschenko den Wahlsieg ein.
Doch so bereitwillig und entschlossen die Demonstranten für Juschtschenko froren, so schleppend lief in der Hauptstadt der angekündigte Generalstreik an. Gestern appellierte Juschtschenko an die Armee, sich dem Streik anzuschließen. Die Militärführung der Westukraine kündigte an, sich aus der politischen Auseinandersetzung herauszuhalten. „Das westliche Kommando wird nicht gegen sein eigenes Volk vorgehen“, sagte General Michail Kuzin.
Zudem legte Juschtschenko beim Obersten Gericht Beschwerde gegen das Wahlergebnis ein. Dieses untersagte die offizielle Veröffentlichung des Endergebnisses. Es wolle zunächst die Umstände der Wahl überprüfen. Als Termin nannte das Gericht den 29. November. Die Wahlkommission hatte Ministerpräsident Janukowitsch zum Sieger erklärt. Seine Amtseinsetzung ist nach dem Beschluss des Gerichts vorerst nicht möglich.
Für gestern Abend drohte die Opposition, ihren Druck auf die Regierung zu verstärken. So sollten Autobahnen und Schnellstraßen blockiert werden. Der noch amtierende Staatspräsident Leonid Kutschma sprach vom Versuch eines Staatsstreichs. Das sehen einige Amtsträger offenbar anders. So legten gestern aus Solidarität mit der Opposition ein Vizeminister und ein Staatsanwalt ihre Ämter nieder. „Als Bürger ist es meine Position, heute zum Volk zu stehen“, hieß es in einer Erklärung des stellvertretenden Ministers für Wirtschaft und europäische Integration, Oleg Haiduk.
Unterdessen versuchen internationale Vermittler, die Krise zu entschärfen. Der ehemalige polnische Präsident Lech Wałesa reiste nach Kiew. Wałesa sagte, er wolle mit seiner Erfahrung helfen: „Ich hoffe, dass die Ukraine die Fehler vermeidet, die Polen machte, beispielsweise die Verhängung des Kriegsrechts.“ Polens Präsident Aleksander Kwaśniewski legte einen Dreipunkteplan vor. Er sieht die Überprüfung des Wahlergebnisses, die Einsetzung eines runden Tisches mit Vertretern von Regierung und Opposition sowie die Garantie von Gewaltfreiheit durch beide Parteien vor.
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