: Hier wird‘s noch von Hand gemacht
Begleitet von großem Werbeaufwand, entdeckt Beate Uhse derzeit eine neue Zielgruppe: Der Konzern will im Frühjahr die vermeintlich ersten Sexshops für Frauen öffnen. Dabei gibt es die in Berlin längst. Laura Méritt handelt schon seit Mitte der 80er-Jahre mit Silikonpimmeln und anderen Accessoires
VON GRIT EGGERICHS
„Speziell bin ich auf der Suche nach was zum Umschnallen“, erklärt Marianne und schaut sich im „Zimmerchen“ um. Marianne ist Kundin, das Zimmerchen ist ein Raum in der Wohnung von Laura Méritt. Diverses zum Umschnallen liegt auf einem silbernen Teewagen: Méritt nennt die Dinger Harnesse, zu deutsch: Geschirre. Es gibt sie aus Leder, Gummi „und aus Rucksackstoff“. Sie hält ein Nylondreieck mit Riemen und Plastikschnallen hoch. „Für den Outdoor-Sex. Kann man auch waschen.“ Ihr Lachen ist laut.
Marianne und Susanne sind zum ersten Mal hier und brauchen Beratung. Marianne hat sich ein Harness übergezogen. Leider ganz falsch. Über die Brust geht es nicht. „Du musst schon reinsteigen.“ Méritt zieht eine Augenbraue hoch. Offensichtlich eine Anfängerin. Sie hilft der jungen Frau ins Geschirr. Silikonschwanz eingespannt. Fertig. Marianne dreht sich vorm Spiegel. Vor ihrer Scham ragt karminrot das Modell Sport. Schlicht. Dezent angedeutete Eichel. Wippt jede Bewegung mit. Der Dildo steckt in einem Lederdreieck mit Gummiring – verstellbar für jeden Umfang. Die Gurte um die Hüfte und zwischen den Beinen halten das Ding auf passender Höhe.
Wer keinen hat, behilft sich? „Quatsch!“ sagt Laura Méritt, „Hilfsmittel heißen die nur bei Beate Uhse.“ Was hinter Méritt in Glasvitrinen aufgestellt ist – bunte Silikonschwänze, lange Dinger aus Glas, Edelmetall oder Holz, mit Motor und ohne – sind keinesfalls Hilfsmittel. „Sondern Spielzeuge!“, stellt Méritt klar. Und weil Lust viel mit Lustigkeit zu tun zu hat, lacht sie wieder.
Neugierig war Méritt schon als junge Frau. Seit sie zwanzig war, probierte sie einiges aus. Mit Männern. Mit Frauen. Mit Transsexuellen. Dann wollte sie gern mehr wissen. Doch das war in Deutschland nicht so einfach. Erst recht nicht in Trier, wo sie Germanistik und Politik studierte. Auf Lehramt. „Es gab nur in Berlin ein paar Tantra-Workshops – für Heteros, und das war mir zu einseitig.“ In den Semester-, später in den Schulferien reiste sie immer wieder in die USA, um „Unterrichtung zu nehmen“, wie sie sagt. Und lacht laut über die eigene brav-kokette Formulierung.
In den Achtzigerjahren stritten sich amerikanische Feministinnen. Über weibliche Sexualität und das Politische. Die einen meinten, Sex sei immer Ausdruck der Unterdrückung von Frauen. Die anderen waren dabei, praktische Erkundungen anzustellen und Sex neu zu erfinden.
Für die einen waren Pornos nicht okay, die anderen produzierten welche. Sie fanden: Alles, was Spaß macht, ist erlaubt. Schwer zu erraten, welcher Fraktion Méritt zuneigte?
Was Spaß machen könnte, wussten viele Frauen nicht. „Und viele Männer auch nicht“, sagt Méritt und zieht die Augenbrauen so hoch, dass die Augen groß werden. „Unterrichtung“ tat Not. Zum Beispiel bei dem Expornostar Annie Sprinkle in New York.
Trier wurde Méritt zu eng. Sie schmiss die Stelle am Privatgymnasium und zog nach Westberlin. Fing an, mit Toys zu dealen. Und verhalf nebenbei Frauen und Männern zu sexuellen Genüssen.
„Ich bin Lehrerin. Und das war immer mein Traumberuf“, sagt Méritt, lacht und verbreitert ihren ohnehin großen Mund aufs Doppelte. Es gab einen Informationsrückstand, „besonders unter Frauen. Männer glauben ja immerhin, zu wissen, wie’s geht.“ Laura Méritt trat an, den Rückstand zu beheben. In der Charlottenburger Sexküche, die nicht nur Laden, sondern auch Raum zum Reden wurde. Und bei Hausbesuchen, Fuckerwearpartys, wo sie Werkzeuge vorführte und auch heute noch gern eine Technik- und Mentalitätsgeschichte des Vibrators erzählt.
Sexpertin nennt sich Méritt selbst gern. Denn ohne Wortspiel – kein Spielzeug. Ihr Laden heißt „Sexclusivitäten“, die Fachbücher haben Titel wie „Cliteratur“, Sachen zum Umschnallen fallen unter die Kategorie „Lederliches“.
Die verspielten Namen, die bunten Farben, das häufige Lachen: all das scheint Teil eines Versuchs, Erotik aus dem Zwielicht der Bahnhofsviertel und der Abgeschlossenheit hinter rot abgeklebten Schaufenstern zu befreien.
„Sex ist Bestandteil der Alltagskultur geworden“, erklärte Otto Lindemann, Vorstandsvorsitzender von Beate Uhse, als er im November sein Ladenkonzept für Frauen vorstellte. Wenn das stimmt, dürfte es kaum das Verdienst der marktführenden Erotikkette sein.
„Sieht aus wie Fimo“, bemerkt Mariannes Begleiterin. Sport besteht aber aus bestem Silikon. „Hautfreundlich, medizinisch geprüft, geruchlos“, wirbt Méritt. Vor dreißig Jahren wurden Prothesen daraus gemacht. Herkömmliches Material heißt Jelly, riecht von vornherein nicht gut und wird „in Aktion“ noch unappetitlicher. Die Sachen werden massengefertigt, kosten im Beate-Uhse-Shop aber mindestens genauso viel wie handgearbeitete Silikonware bei Sexclusivitäten. „Es heißt ja immer, Erotikhändler schlagen 300 Prozent drauf. Das stimmt auch“, sagt Méritt, „und deshalb kosten die Sachen bei Beate Uhse ungefähr genauso viel wie bei mir.“
„Krass.“ Susanne hat auf dem höchsten Bord ein „Gerät“ aus weichem, hautfarbenem Material entdeckt. Ein massiver Block aus zwei Brüsten, direkt darunter eine Öffnung mit modellierten Schamlippen. Oben am roten Knopf lässt sich der Motor einstellen, der die Schamwände zum Vibrieren bringt. „Das ist jetzt sehr kompakt“, meint Méritt, „Minimal Art sozusagen.“ Susanne lässt den Motor brummen. Das laute Lachen von Méritt verschluckt das Geräusch. „Ist das nicht eigentlich für Männer?“, fragt Susanne mit skeptischem Blick.
Méritt glaubt, jeder Gegenstand verdiene es, mit Neugier betrachtet zu werden. Da kann selbst eine Gummipuppe zum Spielzeug im besten Sinn werden, meint sie. Und im Übrigen ist ihr Sexshop gar nicht nur für Frauen. „Er ist für Damen.“ Sie lacht schon wieder. Diesmal über die Pointe, die jetzt kommt: „Und wer eine Dame ist, bestimme ich.“ Es komme ihr mehr darauf an, ob das Verhalten ihrer Besucherinnen und Besucher damenhaft ist – und damenhaft, das bedeutet für sie: freundlich, höflich, zuvorkommend. So konventionell kann eine Sexshopbesitzerin auch sein: „Dass manche Frauen ganz und gar keine Damen sind, ist mir auch klar.“
Laura Méritt ist 43 Jahre alt. Vor ein paar Monaten hat sie sich ihre langen Haare abschneiden lassen. Die Butch- und Femme-Klischees haben sich doch ein wenig aufgeweicht in den letzten Jahren, findet sie. „Sonst hätte ich das nie gemacht.“ Mit Scheitel, Bundfaltenhose und Boss-Hosenträgern sieht sie dennoch aus wie eine Aktivistin der Szene. Allerdings eine sehr fröhliche. Manchmal allerdings klingt ihr Lachen mechanisch. Es scheint den Satz „Sex ist nicht nur etwas ganz Natürliches, sondern auch sehr Lustiges“ stets zu wiederholen.
Die beiden 28-jährigen Kundinnen scheint das nicht zu kümmern. Auch die Theorie interessiert sie nicht weiter. Marianne betrachtet sich im Spiegel, Susanne schaut sich einen wabbeligen Schwanz, genannt Packer, an, den sich Frauen in den Slip stecken können, um mal zu probieren, wie das ist, wenn frau ein Gehänge hat. „Es ist gut, verschiedene Geschlechter auszuprobieren neben dem, was man vermeintlich ist.“
Laura Méritt schreibt an ihrer Doktorarbeit. Thema: „Wie Frauen über Sexualität sprechen“. „Krass“, Susanne starrt auf den Packer in ihrer Hand, „sieht aus wie ein Hundepenis.“