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Archiv-Artikel

Im Aufwind

Claudia Kemfert ist Umweltökonomin. Sie war eine der ersten Juniorprofessorinnen. Nun ist sie C4-Professorin an der Humboldt-Uni. Claudia Kemfert ist 35 Jahre alt. Fürs Erste ist sie zufrieden

„Das ist ein Auslaufmodell, ein Ding von gestern“

von Johannes Gernert

Das Bild ist von ihren Nichten, den Töchtern ihrer Schwester. Es steht auf dem Fensterbrett in ihrem Büro. Ein buntes Fingerfarbengemälde. Es soll wohl ein Schmetterling sein. Claudia Kemfert hat keine Kinder. Sie hat bisher keine gewollt. „Wenn ich das wollte“, sagt sie, „würde ich das auch noch hinbekommen.“ Sie hat auch den Rest gut hinbekommen. Man muss nur wollen.

Claudia Kemfert ist Umweltökonomin, Klimaforscherin im Dienste der Volkswirtschaft. Als an deutschen Hochschulen die Juniorprofessuren eingeführt wurden, hat sie eine bekommen. Sie war damals an der Universität in Oldenburg und hat eine Gruppe von Nachwuchsforschern geleitet. Bei so einer Juniorprofessur dauert es eigentlich vier Jahre, bis man voll berufungsfähig ist und Professorin werden könnte oder Professor. Claudia Kemfert hat zwei Jahre gebraucht. Dann wurde sie an die Berliner Humboldt-Universität gerufen. Sie ist jetzt C4-Professorin, das ist die bestbezahlte Professur. Mehr kann man erst mal nicht werden. Claudia Kemfert ist 35 Jahre alt.

Es ist keine gewöhnliche Professorinnenstelle. Sie wird vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung bezahlt. Vier Tage ihrer Woche arbeitet sie in ihrem DIW-Büro, gegenüber vom Botanischen Garten. Sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt. Montags ist sie an der HU, wo sie sich bei den Volkswirtschaftlern ein Zimmer mit einer Kollegin teilt. Sie hält eine Vorlesung zum Thema Umweltökonomie. Und sie betreut Abschlussarbeiten, auch Dissertationen. Manchmal sind die Doktoranden gar nicht so viel jünger als sie selbst. „Das wird von Studierenden als sehr positiv empfunden“, sagt Claudia Kemfert.

Ihre Vorlesung hatte sie eigentlich vor 50 Studenten halten wollen. Aber dann kamen 250 zum ersten Termin. „So was von overflow“, erinnert sie sich. Also hat sie einen größeren Raum besorgt und beschlossen, auch im nächsten Semester über Umweltökonomie zu sprechen, nicht über Klimapolitik, wie sie sich ursprünglich vorgenommen hatte. „Das Thema scheint recht populär zu sein“, hat ihr das gezeigt. Jetzt will sie erst mal „ein bisschen was abarbeiten“ von diesem Studentenhaufen. Das Interesse verwundert sie.

Als sie vor gut zehn Jahren anfing, sich mit Umweltökonomie zu beschäftigen, war das noch „ein absolutes Exotenthema“. Es gab etliche Experten, die vehement abstritten, dass der Mensch etwas mit dem Klimawandel zu tun haben könnte. An der Uni haben ihr viele abgeraten. Sie hat trotzdem darüber promoviert, die meisten anderen Gebiete hielt sie für „hoffnungslos überforscht“.

Während ihres Grundstudiums in Bielefeld hatte sie irgendwann einen Vortrag zur Umwelt- und Energiepolitik gehört, das Ganze war so „superspannend“, dass diese eine Frage sie von da an nicht mehr losließ: „Wie sieht die Zukunft aus?“ „Nicht so Science-Fiction-mäßig“, sagt Kemfert. Man kann das berechnen, Modelle aufstellen, Emissionen einkalkulieren, überlegen, was das in Zahlen bedeutet für eine Volkswirtschaft, wenn die Erde wärmer wird. Sie wird darüber in ihrer Antrittsvorlesung an der Humboldt-Universität sprechen, am Mittwochabend.

Claudia Kemfert ist nicht die erste Juniorprofessorin, die den Sprung auf eine herkömmliche Professur geschafft hat. Aber sie ist am höchsten gesprungen und dabei recht jung geblieben. Sie wurde deshalb von der Bildungsministerin Edelgard Bulmahn herumgezeigt als das beste Beispiel für die Vorzüge der Juniorprofessur. In den Zeitungen war sie die „Dame auf C4“ oder „Frau Ministers Musterschülerin“.

Sie gibt sich gerne her für diese Sache, weil sie die Juniorprofessur für sinnvoll hält. „Die Habilitation ist ein Auslaufmodell“, sagt Kemfert. Reine Zeitverschwendung. Ein Wettbewerbsnachteil. Nirgends, aber wirklich nirgends sonst, verlange man von jungen Wissenschaftlern so einen „dicken Schinken“ zu schreiben.

Eine typisch deutsche Diskussion sei das, ihre Freunde in den USA würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, weil die nicht verstehen, wie man an so etwas Altem, Albernem, Überholtem festhalten kann. „Ein Ding von gestern“, sagt Claudia Kemfert.

Sie redet nicht so, weil das neue Modell ihr Sprungbrett war. Ohne die Juniorprofessur, hätte sie eben eine kumulierte Habilitation eingereicht. Sie hätte ihre veröffentlichten Artikel zusammengefasst und „ein bisschen was drumherum geschrieben“. Das allerdings „hätte mich mindestens zwei Jahre gekostet“.

Vielleicht war es in Stanford, dass Claudia Kemferts Karriere an Fahrt gewann. Bis dahin lief alles eher geregelt. Mit 25 Jahren machte sie ihr Diplom in Oldenburg. Sie war studentische Hilfskraft gewesen, aber das sind viele. Sie fing an zu promovieren. Währenddessen ging sie mit einem DAAD-Stipendium nach Amerika. Sie erwähnt den Namen der Universität eher beiläufig. Sie erklärt, dass das eine Hochschule in Kalifornien ist, in der Nähe von San Francisco. Stanford. Als müsse man das nicht unbedingt kennen.

Danach war sie in Mailand und Stuttgart. Zuletzt wieder in Oldenburg, wo sie die Gruppe von Nachwuchsforschern leitete. Das Projekt hieß Speed: Scientific Pool of Environmental Economic Analysis. Ihr Leben war ziemlich schnell zu dieser Zeit. Sie ist viel herumgeflogen. Und sie ist froh, dass sie jetzt ein bisschen mehr Ruhe hat, ruhiger ist, „so paradox das klingt“. Vor allem auch, weil endlich dieser Druck weg ist. Sie muss nichts mehr werden. Sie ist schon etwas geworden. Es fragen nicht mehr so viele: Kann die das überhaupt?

Man sieht dann vieles gelassener. Die Verwechslungen etwa. Es gibt Kollegen, die denken, dass Frauen entweder Sekretärinnen sind oder bestenfalls Assistentinnen. Manchmal wird sie für eine Pressereferentin gehalten. „Früher habe ich denen das übel genommen. Heute nehme ich das als Kompliment, dass ich noch so jung aussehe.“

Sie glaubt immer noch, dass man Frauen fördern muss. Auch weil sie selbst oft Widerstand gespürt hat, als sie nach oben strebte. „Manche ältere Herren haben damit ein Problem, wenn jüngere Frauen versuchen, sich zu positionieren“ Von ihren fünf studentischen Hilfskräften hat sie drei selbst eingestellt. Sie denkt kurz nach. Die sind wohl alle Frauen.

Claudia Kemfert trägt einen dunklen Hosenanzug. Faltenlos, nichts knittert, er fällt perfekt. Der Anzug ist schwarz, nicht lila, keine Latzhose. Das ist ihr wichtig. „Gut, ich bin Vegetarierin, ich fahre Fahrrad, ich kämpfe auch für Frauen“, sagt sie. „Also was heißt kämpfen.“ Sie will kein Öko-Freak sein. Öko-Freaks sind oft, ihr fällt das Wort nicht gleich ein, Terroristen, nein, Fundamentalisten. Die legen sich immer gleich mit der ganzen Welt an. „Man muss das nicht mit Aggression machen, sondern mit Verständnis“, findet sie.

„Das wird von Studierenden als sehr positiv empfunden“

Wenn sie die Leute von der Senatsverwaltung für Verkehr das nächste Mal sieht, ihre Abteilung arbeitet für die, dann wird sie die Sache mit den Radwegen ansprechen. Man bräuchte ein paar mehr davon. Sie fühlt sich nicht ganz wohl, wenn sie vom Stadtpark Steglitz, wo sie wohnt, zum DIW am Botanischen Garten radelt. Die vielen Autos. Sie hat auch eins, so ist das nicht. Sie fliegt, natürlich. Nächste Woche Brüssel, danach Cambridge, dann Wien. Zwischendurch fährt sie nach Bremen, da ist sie aufgewachsen, da wohnt auch ihr Freund, der Architekt, der sie „sehr unterstützt“ bei dem, was sie macht. „Wir pendeln.“

Sie bekommt jetzt häufiger Besuch. Das liegt an Berlin. Sie findet das schön. Nach Oldenburg haben sich die Leute nicht so oft verirrt. „Berlin ist eine wunderbare Stadt“, sagt sie. Sie geht gern aus, ins Theater, ins Varieté: „Modern und schrill finde ich immer ganz nett.“ Sie geht auch gern raus, ins Grüne.

„Die Kreativität wächst im Freien“, sagt Claudia Kemfert. Albert Einstein habe seine kreativen Schübe immer draußen gehabt. „Das Freie“, das ist auch das Fehlen von Zwängen. An der Schule hat ihr nie gefallen, dass alles vorgegeben war. An der Universität gefällt ihr nicht, dass die Leute dort dazu tendieren, „Elfenbeinturmforschung zu machen, die keiner versteht“. Sie hat eine Zeit lang mitgemacht. Aber sie braucht auch etwas anderes.

„Ich war nie sicher, ob ich an der Uni bleiben will“, erinnert sie sich. Deshalb gefällt ihr die gesplittete Stelle so gut. Ein bisschen Theorie und dazu sehr viel Praxis. Sie werde ihre „Balance“ da noch finden müssen, sagt Claudia Kemfert, langfristig. Sie spricht „Balance“ englisch aus, nicht französisch.

Fürs Erste ist die junge Professorin zufrieden mit dem, was sie erreicht hat: „Man muss nicht immer höher, immer höher. Es ist gut, wie es ist.“

Vor kurzem hat sie die Königin Elizabeth getroffen, bei deren Berlinbesuch. „Die Queen hat weltweit führende Klimaforscher eingeladen. Und da bin ich dabei“, sagt Claudia Kemfert. Es klingt bescheiden.

„50 years after tomorrow – where will we be? Oder: die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels“: Antrittsvorlesung von Claudia Kemfert an der Humboldt-Universität, Mittwoch, 1. Dezember 2004, 18 Uhr c.t., Spandauer Straße 1, Raum 125