Patriotismus statt Gesundheit

Wenige Tage vor dem Düsseldorfer Bundesparteitag wird die CDU nervös: Statt einer einigenden Patriotismus-Debatte droht neuer Streit um Gesundheitspauschale und Kündigungsschutz

VON ANDREAS WYPUTTA

Jürgen Rüttgers gibt die Linie vor: Von Zuwanderern fordert Nordrhein-Westfalens CDU-Oppositionsführer ein „förmliches Bekenntnis zu den Grundwerten unserer Gesellschaft“. Die Einbürgerung dürfe keine „formale Verwaltungshandlung“ sein, sondern müsse als feierlicher Akt gestaltet werden, so Rüttgers gestern vor seiner Landtagsfraktion. Der CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Mai hält wie seine Bundesvorsitzende Angela Merkel so Kurs auf eine neue Patriotismusdebatte – die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert, sind sich beide einig.

Die Diskussion über die rot-grüne „Lebenslüge“ (Rüttgers) soll die Partei einigen. Vom CDU-Bundesparteitag, der am kommenden Montag beginnt, soll ein positives Signal ausgehen – gerade der angeschlagene Wackelkandidat Rüttgers braucht die Unterstützung der Bundespartei, will er die seit 1966 in Düsseldorf regierenden Sozialdemokraten doch noch von der Macht vertreiben. Doch stattdessen droht neuer Streit um den nur mühsam geschlossenen Gesundheitskompromiss und die vom CDU-Wirtschaftsflügel geforderte Abschaffung des Kündigungsschutzes – der Arbeitnehmerflügel um den Vorsitzenden der CDA-Sozialausschüsse, Hermann-Josef Arentz, will zwar die einheitliche Kopfpauschale abnicken, dafür aber beim Kündigungsschutz hart bleiben. Außerdem ist Merkel und Rüttgers der Widerstand der Basis gewiss: Wie schon auf der Regionalkonferenz in Hamm kämpft etwa der Oberhausener CDA-Vorsitzende Hans-Jürgen Nagels gegen die „unsoziale“ Pauschale.

Die gilt flügelübergreifend als unausgegoren: „Wir stützen den Kompromiss mit der CSU“, sagt Rudolf Henke, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. „Aber es wurden nicht alle Wünsche erfüllt.“ Auch der Wirtschaftspolitiker Christian Weisbrich mahnt, er habe „das ursprüngliche Herzog-System besser“ gefunden. Zwar schimpfen beide über den FDP-Vorschlag einer privaten Krankenversicherung für alle, der „nicht diskussionswürdig“ (Henke) sei, wie über die Bürgerversicherung, die von der SPD nicht weiter verfolgt wird. Kopfschütteln herrscht besonders über die Art der Debatte. „Die Diskussion um die dritte Stelle hinter dem Komma war nicht zielführend“, kritisiert Weisbrich. Für viele Christdemokraten sei es „offensichtlich interessanter nachzurechnen, als an der Enthüllung der Rätsel der Alternativen der politischen Konkurrenz mitzuwirken“, klagt auch Henke – noch am Wochenende hatte etwa Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer eingeräumt, „dass nicht einmal die Berechnungsansätze abgestimmt sind“. Wie der im Streit mit Merkel abgetretene Ex-Bundestagsfraktionsvize Friedrich Merz setzen Weisbrich und Henke auf die FDP: „Nach einem Regierungswechsel müssen wir sowieso noch einmal diskutieren“, sagt Weisbrich.

Gerade Spitzenkandidat Rüttgers steht damit vor schwierigen Monaten. „Die Patriotismus-Debatte wird nicht lange tragen“, sagt ein Mitglied des CDA-Landesvorstands. Zwar will die Partei auch einen Leitantrag für mehr Wirtschaftswachstum verabschieden, doch wird dem kaum landespolitische Strahlkraft zugebilligt. Rüttgers sei schon vor dem bevorstehenden Gerangel um aussichtsreiche Landtags-Listenplätze „angeschossen“, sagt ein Christdemokrat. Jürgen Rüttgers stehe nicht nur beim Gesundheitskompromiss zwischen allen Fronten, habe deshalb nur mühsam eine Diskussion um seine Person unterdrücken können. „Langsam wird‘s eng.“