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Archiv-Artikel

Mindestlohn nur scheintot

Einzelne Gewerkschaften zuversichtlich, dass die SPD die Lohnuntergrenze spätestens im Wahlkampf 2006 wieder entdeckt. Denn „das Problem Niedriglohn wird größer“

BERLIN taz ■ Ein Begräbnis fand nicht statt. Doch wann der Mindestlohn wiederbelebt wird, blieb nach dem vorläufig letzten Treffen des SPD-Gewerkschaftsrats dazu am Montagabend unklar. Die Gewerkschaften behaupteten zwar, die Debatte um eine untere Lohngrenze gehe weiter. Doch SPD-Chef Franz Müntefering erklärte dürr, es gebe keine Form des gesetzlichen Mindestlohns, „die sich anbietet, jetzt realisiert zu werden“.

Die Nachfrage war allerdings auch gering. Weder bei SPD noch bei den Gewerkschaften gibt es bisher eine Mehrheit für einen Mindestlohn. Kanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement haben längst klargestellt, dass sie kein Gesetz wollen. Von der SPD-Führungsriege bekannte sich nur Müntefering zum Mindestlohn – um den linken Parteiflügel mit den Arbeitsmarktreformen Hartz IV zu versöhnen. Denn die neue Zumutbarkeitsregel sieht vor, dass Langzeitarbeitslose auch Jobs annehmen müssen, die unter dem ortsüblichen Tarif entlohnt werden. Drei Euro Stundenlohn wären dann etwa bei Wach- und Sicherheitsdiensten nicht mehr auszuschließen.

Aber auch die Gewerkschaften konnten sich nicht auf ein einheitliches Modell zum Mindestlohn einigen. Besonders die IG Metall und die IG BCE fürchten, dass der Mindestlohn viel zu gering ausfiele – und langfristig das gesamte Tarifgefüge bedrohen würde. Zudem wollen diese starken Gewerkschaften keinen Teil ihrer Tarifautonomie an den Staat abtreten. Daher schlug die IG Metall schließlich vor, einfach den untersten Tariflohn in den jeweiligen Branchen zum gesetzlichen Mindestlohn zu erklären.

Doch dies Modell hat Tücken: Oft bestehen die untersten Tarifgruppen nur pro forma – faktisch werden alle Beschäftigten höher entlohnt. Und was ist mit Branchen, die gar keine tariflichen Regelungen kennen? Auf diese Frage allerdings hatte die IG Metall eine Antwort: Dann solle der Tarif für Leiharbeiter gelten, wo der Mindeststundenlohn bei 6,85 Euro liegt.

Aber auch das wäre noch immer ein Armutslohn, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einwendet. Ihr Vorsitzender Franz-Josef Möllenberg fordert daher einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von 1.500 Euro brutto im Monat. Netto wären das etwas mehr als 1.000 Euro – was in etwa der Pfändungsfreigrenze entspricht, die bei 940 Euro liegt.

Zwar schließt sich der NGG momentan noch niemand an. Doch „durch die Amerikanisierung der Arbeitswelt wird das Problem Niedriglohn immer größer“, prognostiziert etwa Gerd Pohl. Deshalb ist der Leiter der NGG-Tarifabteilung zuversichtlich, dass die SPD den Mindestlohn spätestens 2006 als Wahlkampfthema entdecken wird: „Damit kann man bei vielen Arbeitnehmern einen guten Eindruck machen“. UH, UWI