: Stirb schön, Mäuschen
Der Trend ist ungebrochen: Die Zahl der Tierversuche steigt an. Rund 2,2 Millionen Tiere mussten im vergangenen Jahr für die Forschung sterben
Mehr als 22 Millionen Tiere ohne Zierfische leben nach Angaben des Industrieverband Heimtierbedarf in bundesdeutschen Haushalten. Spitzenreiter sind die Katzen gefolgt von Hunden. Doch der Liebe zum Trotz: Rund 2,2 Millionen Tiere mussten im Jahr 2002 in deutschen Versuchslaboren ihr Leben lassen. Nicht wenige von ihnen wurden geboren, um qualvoll sterben zu dürfen. Neben Mäusen, Ratten und Fischen waren es vor allem Vögel, Schafe und Hunde, die ihr Gesundheit und ihr Leben für Tests im Dienste des Menschen hergeben mussten.
Der größte Teil der Tiere (37 Prozent) musste im Bereich der Grundlagenforschung sterben. Zwar war hier ein leichter Rückgang zu verzeichnen, dafür stieg aber die Zahl der Tierversuche in der Arzneimittelforschung und für toxikologische Studien. Tierschützer prophezeien in dieser Sparte einen weiteren Anstieg – bis zum Jahr 2009 will nämlich die EU-Kommission rund 30.000 Chemikalien auf Risiken für Umwelt und Gesundheit untersuchen lassen.
Ein Großteil der Tierversuche ist auf Vorhaben, in denen transgene Tiere erzeugt würden, zurückführen. „Die Tiere, allen voran Mäuse, werden verwendet, um Krankheiten zu erforschen und neue Medikamente herzustellen oder technische Neuheiten“, erklärt die Biologin Susanne Schreckenberg vom Münchner Umweltinstitut. So berichtete das Magazin GEO beispielsweise, dass genetisch veränderte Ziegen mit ihrer Milch ein Material lieferten, aus dem auch Spinnfäden aufgebaut sind. Die Forscher der Firma Nexia aus Kanada haben der Zwergziege dazu ein Gen der Kreuzspinne eingeschleust. Aus dem superelastischen, federleichten Material sollen medizinische Produkte wie hauchdünne Nähfäden für Augenverletzungen hergestellt werden. Gen-Pharming nennt sich diese Form der Genmanipulation, die den Zweck verfolgt Medikamente und Produkte mit Tieren als Bioreaktoren zu erschaffen.
Die Gesundheit des Menschen und die Verlängerung seiner irdischen Lebenszeit ist das Ziel von so genannten Tiermodellen. Inzwischen gibt es mehrere tausend so genannter transgener Tiermodelle, sagt Marion Selig, Tierärztin und Zweite Vorsitzende des Bundesverbandes „Menschen für Tierrechte“ in Aachen. So gibt es etwa Alzheimer-, Krebs-, Diabetes-, Aids- , Parkinsonmäuse und Rheumaratten sowie Kaninchen als Modelle für Arterienverkalkung. Diese Tiere werden zum Teil über gewerbliche Zuchtfirmen vertrieben, beispielsweise über die amerikanischen Unternehmen Charles River Laboratories, erläutert die Tierärztin in einem Beitrag auf der Homepage des Verbandes. Transgene Mäuse kosten bei Charles River etwa 100 bis 200 US-Dollar pro Tier. Laut Greenpeace, bieten manche Firmen bereits Tiere per Katalog zum Bestellen an – nach Wunsch schwanger oder kastriert, zuckerkrank oder ohne Niere.
Zahlreiche Wissenschaftler und Tierschützer zweifeln aber am Sinn dieser Tiermodelle. Der Grund: „Krankheiten von Menschen haben oft eine andere Entstehungsgeschichte als bei den Tieren. Neben genetischen Faktoren spielen ja auch Lebensgewohnheiten, Umwelteinflüsse und Ernährung eine Rolle“, kritisiert Selig. Aus diesem Grund und weil Tiere häufig nicht so reagieren wie der Mensch würden mit Hilfe von Tiermodellen hergestellte Medikamente oftmals anders wirken als im Tierversuch.
„Weil es heute möglich ist, Lebewesen wie etwa die Krebsmaus patentieren zu lassen, wächst auch die Begehrlichkeit von Unternehmen“, bemerkt auch Schreckenberg vom Münchner Umweltinstitut. „Wer solche Mäuse verwendet, muss Lizenzgebühren an den Erfinder bezahlen, der möglicherweise sogar aus späteren Medikamenten finanzielle Vorteile schöpft“.
Darüber hinaus ist die Schaffung solcher Tiermodelle für das Tier oft mit großen Leiden verbunden, denn das Ziel dabei sind kranke – und damit in den meisten Fällen auch leidende – Tiere. Fest nämlich steht: Tiere empfinden Schmerzen. Inzwischen haben Wissenschaftler auch das Schmerzempfinden von Fischen nachweisen können. Bei Stress etwa verblasst die Farbe, die Atmung erhöht sich, die Fische schwimmen schräg. Fische aber haben keine Lobby. Nach Angaben des Verbraucherschutzministerium wurden im Jahr 2002 zu Versuchszwecken 303.590 Fische verwendet.
„Die Menschen sollen ihre Probleme unter sich lösen“, findet Selig. Statt auf Gentechnik zu setzen, müsste mehr für die Gesundheitsvorsorge getan werden. Darüber hinaus soll die Forschung an tierversuchsfreien Verfahren stärker von der Bundesregierung gefördert werden. Während für Tierversuche beinah eine Milliarde Euro jährlich bereitgestellt werden, steht für Verfahren ohne den Einsatz von Tieren nur ein schwindend geringer Betrag zur Verfügung. „Nämlich gerade mal vier Millionen Euro“, konstatiert Selig.
Alternativen zu Tierversuchen gibt es, wie ein Blick in die Website der Datenbank-Tierversuche zeigt. Doch es könnte noch viel mehr getan werden, betont Selig. „Seitdem die Bundesregierung den Tierschutz im Grundgesetz verankert hat, gibt es wenigstens eine gewisse Chancengleichheit zwischen Tierschutz und dem Recht auf Forschungsfreiheit. Doch fehlen Richtlinien, die sich mit der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen befassen“, konstatiert sie. NATHALIE HEINKE