: Das Unheimliche im Heimeligen
Die Verwandlung ist verräterisch: Ob Margarete Hahner Filmbilder oder Kirchenfenster malt, dem Sichtbaren ist nie lange zu trauen. Manchmal möchte sie sich selbst verwandeln, aber ihren Bildern bleibt sie treu. Ein Porträt der Berliner Künstlerin
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Kirchenfenster sind transparent. Innen beginnen die Bilder aus farbigem Glas zu leuchten, wenn es außen hell wird. Das Durchscheinende und den Zuschnitt im gotischen Spitzbogenformat haben die Fenster aus Papier, die Margarete Hahner in dem Modell einer Kapelle in der Galerie Zwinger zeigt, mit traditionellen Kirchenfenstern gemeinsam. Ihre Motive aber verwandeln sich zwischen innen und außen. Das Raster der Flächenaufteilung und Konturen bleibt, ihre Belegung mit konkreten Formen ändert sich.
Innen klopft eine Jesus-Figur an die Tür einer bescheidenen Hütte, außen steht er monumental der Scheibe des UN-Gebäudes in New York gegenüber. Innen sieht man ein merkwürdiges Gewächs mit pilzartigen Knubbeln, die sich von außen als kleine von Liebespaaren und Embryonen bewohnte Zellen erweisen, sozusagen ein Schnelldurchlauf durch die Geschichte von Befruchtung und Zellteilung. Das könnte man für die Illustration eines Subtextes halten, den Moral- und Sexualgebote unabsichtlich transportieren. Innen leuchtet eine Kerze, außen wird diese helle Fläche zum Zwischenraum zwischen zwei zum Trocknen aufgehängten roten Socken. „Vielleicht bin ich darauf gekommen“, spekuliert die Malerin, „weil mir der religiöse Glauben und die Hoffnung im Kommunismus schon immer verwandt schienen.“
Margarete Hahner ist eine Spezialistin der Verwandlung. Das Sockenmotiv etwa hat verschiedene Mutationen durchlaufen. Einmal hängte sie wirklich zwei Bilder an den Spitzen zweier Socken auf. Warum? Um etwas auszuprobieren, dessen Ergebnis noch nicht vorhersehbar war. Später malte sie diese kleine Installation, und schon begann sich der Raum zwischen den Strümpfen in Kerze und Flamme zu verwandeln.
Das Motiv der Kirche aber kam auf einem anderen Weg in ihre Kunst. 2003 und 2004 folgte die Malerin der Einladung von Freunden in Los Angeles nach Kalifornien. Als sie das erste Mal von dort zurückkam, war sie angesteckt von einem seltsamen Unternehmungsgeist und erwog kurzzeitig, ein Geschäft für künstlerisch gestaltete Särge zu eröffnen. Beim zweiten Besuch fielen ihr überall die Kapellen und Tempel auf, die in Wohnhäusern, Garagen und Baulücken entstanden waren. „Wenn man keine Krankenversicherung hat, geht man mit seinen Sorgen eben leichter zu Maria“, erklärte sie sich diesen Boom der Religiosität. Dafür sprachen auch die Bücherkisten auf Flohmärkten, die hauptsächlich zwei Themen kannten: „Jesus loves you“ und „Wie werde ich Millionär“. Sie aber war vor allem „fasziniert von dem kreativen Potenzial der selbst gestalteten Tempel“.
In ihren Bildern ist nichts eindeutig. Sie beziehen keine Position, die über Religiosität oder das Bedürfnis danach urteilt. Das erste Modell ihrer Kapelle zeigte sie in Los Angeles in einem Raum, den befreundete Künstler im Haus des YMCA betreiben; aber die Ausstellung musste nach einer Woche abgebaut werden, weil die Besucher entweder ein religiöses Bekenntnis oder eine Kritik an der Kirche erwarteten, die Uneindeutigkeit aber nicht akzeptieren wollten.
Bilder nach ihrem Unabsichtlichen zu befragen, die Oberfläche nach Falltüren abzutasten, ist aber gerade das Interesse der Malerin: nach dem zu suchen, was sich oft gegen die Intentionen der Bildermacher an bestimmte Motive heftet. Margarete Hahner malt zwar abbildend und realistisch, doch zugleich ungeheuer vieldeutig. Viele Motive werden in Serien bearbeitet, und von Bild zu Bild verändern sich die Lesbarkeit der Zeichen und der Kontext, den sie nach sich ziehen. Freud hätte sicher seine Freude gehabt an dieser schönen Nähe zwischen dem Heimeligen und dem Unheimlichen in ihren Szenarien.
Die Malerin hat solche Bilderketten in Super-8-Filme übertragen und 2002 auch ein Buch daraus gemacht, mit Geschichten von Tanja Langer und Eva Meyer, erschienen im Vice Versa Verlag. In diesen Bildgeschichten lauert das Katastrophische oft in der Nähe des Harmlosen. Die Bilder haben etwas von visuellen Versprechern, von Fehlinterpretationen und Irrtümern: Dass Wunderbare aber ist, dass aus dem Missverstehen immer wieder etwas Neues hervorgeht.
Margarete Hahner wurde 1960 in Bamberg geboren und studierte in Karlsruhe bei Per Kirkeby. Sie hat in Berlin Stipendien des Senats und des Kulturfonds erhalten und jahrelang, auch um Geld zu verdienen, mit Kindern Kurzfilme gemacht, eine Camera Obscura oder Lehmöfen gebaut. Zur Zeit hat sie in Frankfurt am Main ihre erste Gastprofessur für Malerei am Institut für Kunstpädagogik.
Eine Zeit lang benutzte sie ein Pseudonym: Mark Stark. Damit wollte sie sich vom Druck der Erwartungen an ihre Kunst befreien, aber, wie sie jetzt selbst sagt, „das funktionierte nie“. Auf der Einladungskarte ihrer letzten Ausstellung im Berliner Parkstudio in Treptow sah man eine kleine Figur mit Pinsel und Farbeimer inmitten eines Farbflecks stehen und noch dreimal an der Decke und den Wänden als schwache Projektion: Sozusagen die Illustration des Künstlers, der sich selbst erfindet und damit aber auch auf der selbst geschaffenen Bühne eingeschlossen hat.
In ihrer Ausstellung in der Galerie Zwinger, mit der sie seit 1996 arbeitet, zeigt sie aber ein anderes Instrument, das sie sich als Ventil vom Druck der Kunstproduzentin geschaffen hat. Es sind Bilder, die nie fertig werden müssen: Sie entstehen auf kleinen Holzbrettern, werden über Jahre mitgeschleppt und immer wieder übermalt und abgeschabt. „Maggiwürfel“ nennt sie sie insgeheim, Konzentrat von Wandlungsprozessen. Dass nur ein kleiner Teil der Geschichten, die in ihnen stecken und auf ihnen stattfanden, noch zu sehen ist, gefällt ihr. Denn schließlich ist das Sichtbare immer nur ein kleiner Teil einer viel komplexeren Wirklichkeit.
Galerie Zwinger, Gipsstr. 3, Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–17 Uhr, bis 8. Januar