: Ernsthafte Sprachspiele
Delegationen aus vier Kontinenten trafen sich in Berlin, um über den Begriff Fortschritt zu streiten. Sie hatten Spaß dabei. Heraus kam: Zivilisations- und Globalisierungskritik ist weltweit anschlussfähig
VON DIRK KNIPPHALS
Der Satz des Tages kam von der ägyptischen Soziologin Mona Abaza. Er fiel früh auf der Tagung mit dem Titel „Der Begriff Fortschritt in unterschiedlichen Kulturen“ diese Woche in Berlin, aber es brauchte Statements von Vertretern aus vier Kontinenten, um ihn zu erkennen. Der Satz lautete: „Wir haben uns gestritten, und es hat Spaß gemacht.“
Banal? Ja. Und nein. Was man von der gemeinsam vom Goethe-Institut und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit organisierten Veranstaltung mit nach Hause nehmen konnte, war die Einsicht, dass es beim interkulturellen Dialog auf das Performative des Sprechens ankommt. Schließlich ist schon mal in einem gemeinsamen Sprachspiel drin, wer sich auf Selbstexplikation und Gegenüberbefragung ernsthaft einlässt. Und wenn der Spaß beim Streiten noch dazu konsensfähig ist, ist das das Beste, was den Veranstaltern passieren kann. Sie sind gute Gastgeber gewesen.
Da macht es auch nichts, dass sich das Streiten entlang absehbarer Linien entzündete. In Indien, Bolivien, Ägypten, Namibia und Russland hatte man zuvor über drei Themenkomplexe konferiert: Fortschritt und Tradition, Fortschritt und Religion sowie Fortschritt und soziale Entwicklung. Nun haben sich also Delegationen dieser Länder in Berlin getroffen, die jeweiligen Ergebnisse ausgetauscht und das Ergebnis dieses Austauschs wiederum vorgestellt. Und heraus kam, dass man den Gegensatz von Fortschritt und Tradition so nicht stehen lassen könne, schließlich würde in Afrika etwa beides nebeneinander bestehen; dass auch Religionen, die im westlichen Sinn nicht fortschrittlich seien – der bolivianische Pacha-Mama-Kult etwa –, ihre guten Seiten haben; und dass man, um ernsthaft über Fortschritt und Entwicklung reden zu können, erst mal Globalisierungskritik leisten müsse. In solcher Abstraktheit blieben viele Statements stehen; die Gesprächssituation, in einer Stunde die Ergebnisse kompletter Vortagungen zu präsentieren, erlaubte nur pauschale Aussagen.
Für sich selbst nachdenken konnte man beim Zuhören darüber, warum gerade der Westen für solche interkulturellen Gespräche einen so guten Gastgeber abgibt. Zum einen liegt es schlicht daran, dass es hier die nötigen Finanzmittel gibt. Zum anderen aber auch daran, dass die Hinterfragung eines westlichen Fortschrittsbegriffs im Westen selbst anschlussfähig ist. Mona Abaza etwa berief sich auf die ältere Frankfurter Schule, der marokkanische Philosoph Mohammed Sabila auf Habermas, und als der Soziologe Félix Patzi von der indigenen Kultur Boliviens aus die Grundbedingungen eines guten Lebens skizzierte, waren ihm die Sympathien der Zuhörer sicher. Das gute Leben braucht für ihn: gutes Essen, gutes Trinken, orgiastischen Sex und gutes Schlafen. Das sehen viele in Berlin ganz ähnlich.
Mit Fortschrittsskeptizismus kann man also universal Spaß haben. Darauf lässt sich aufbauen. Dass viele Differenzen aber im Detail stecken, sollte man natürlich nicht vergessen.