BETTINA GAUS ÜBER FERNSEHENIM RTL-FRÜHSTÜCKSFERNSEHEN WERDEN AUS SPEKULATIONEN ZUM LAUF DER DINGE EINFALLSREICH NACHRICHTEN GEMACHT
: So war es nicht, so hätte es aber sein können

Die Darmstädter Staatsanwaltschaft ist eine böse Produktenttäuschung für manche Redaktionen. Tagelang hatte sie den Boulevard mit detaillierten Erzählungen über das angebliche Sexualleben einer angeblich HIV-infizierten Sängerin versorgt, die angeblich bewusst in Kauf genommen hat, angeblich mindestens einen Mann mit dem Virus anzustecken. Die Frau war zuvor auf so medienwirksame Weise verhaftet worden, dass niemand, gar niemand der Berichterstattung entgehen konnte, der des Lesens kundig ist. Und dann? Dann nix mehr. Auf einmal schweigt die Staatsanwaltschaft.

Über die Gründe lässt sich spekulieren. Vielleicht hat sich inzwischen bis zu der Behörde herumgesprochen, dass auch Verdächtige ein Recht auf Intimsphäre haben. Man weiß es nicht. Fest steht nur: Die fleißigen Heinzelmännchen aus Darmstadt sind plötzlich verschwunden, und die Redaktionen müssen wieder selber arbeiten und Material heranschaffen. Bei dem schönen Wetter!

In so einer Situation zeigt sich, wer einfallsreich ist. Mitarbeiter des Frühstücksfernsehens von RTL haben die Nase ganz weit vorn. Sie bekommen einen Mann vor die Kamera – na gut, so schwer dürfte es nicht gewesen sein. Also anders ausgedrückt: RTL berichtet über einen Mann, der behauptet, „eine Nacht“ mit der Sängerin „verbracht“ zu haben. Was das heißt, ist ja klar.

Oder nicht? Nach dem geschickt formulierten Teaser – vulgo: Moderation – wird ein Mann mittleren Alters gezeigt, den man nicht gerade als Prototyp des Verführers dafür casten würde, dass eine Frau spontan in Leidenschaft zu ihm entbrennt. Aber man weiß ja nie. Dieser Mann hielt sich einst, wie er sagt, mit der Sängerin in einem Hotel auf. Geschlafen habe er nicht mit ihr. Aber wenn kein Alkohol im Spiel gewesen wäre, dann – ja dann, so glaubt er, wäre es wohl dazu gekommen.

Das ist innovativ! Das ist eine wirklich neue Form der Information! Eine Pionierleistung! Ob dieser Aufenthalt im Hotel auch irgendein Straftatbestand ist, bleibt leider offen. Aber ganz bestimmt ist es der Stoff, aus dem die Träume sind. Ich will auch mal ins RTL-Frühstücksfernsehen. Bitte, bitte! Ich verspreche, dass ich noch viel Interessanteres erzählen kann als dieser Mann.

Zum Beispiel: Thomas Gottschalk und ich wären beinahe gemeinsam in den Tod gegangen. Wir saßen nämlich einmal in demselben Flugzeug. Zwar kamen wir pünktlich an, aber wenn der Pilot einen Fehler gemacht hätte, dann – ja dann. Oder: Vor Jahren bin ich Jimmy Carter begegnet. Er ging einfach an mir vorbei. Aber wenn er mich gekannt und wir geredet hätten, dann – ja dann wäre die Weltgeschichte vermutlich anders verlaufen. Und: Ich habe mich mal eine ganze Nacht mit jemandem unterhalten, von dem Sie jetzt gern wüssten, wer das war. Sag ich aber nicht. Nur so viel: Wenn wir uns nicht unterhalten, sondern anderes getan hätten, dann hätten wir anderes getan. Sie wissen doch, was ich meine?

Ich könnte noch weitere Gründe anführen, weshalb ich ins RTL-Frühstücksfernsehen eingeladen werden sollte. Ich kann es aber auch bei einer Frage belassen: Haben die Kollegen und Kolleginnen dort eigentlich noch alle Tassen im Schrank?

BETTINA GAUSFERNSEHEN

Wäre auch Ihnen beinahe mal etwas passiert? kolumne@taz.de Montag: Josef Winkler ist in der ZEITSCHLEIFE