piwik no script img

Und Rocco machte den Nikolaus

„An meinem 27. Geburtstag hielt ich ein besonderes Geschenk in der Hand: meinen ersten Pornoschwanz“: Michaela Schaffrath, ehemals Gina Wild, las aus ihrer Biografie und provozierte in der Arena erwartbares Gekicher des Staunens

von HARALD PETERS

Da saß sie und erzählte ihre Geschichte: Michaela Schaffrath, geborene Jänke, aus Nothberg bei Eschweiler. Einst war sie ausgezogen, um als Gina Wild in der Welt der Pornoindustrie Karriere zu machen, mittlerweile lebt sie davon, als Michaela Schaffrath über ihre Erlebnisse als Gina Wild zu berichten. Doch offenbar hatte Schaffrath das Wild-Sein bereits derart verinnerlicht, dass sie trotz Rückverwandlung auch heute nie mehr nur ganz Schaffrath sein kann, sondern bestenfalls die ist, die einst Wild war. Doch wenn Schaffrath nach ihrem Ausstieg aus der Pornobranche wirklich nicht mehr Wild sein wollte, dann lässt die unlängst veröffentlichte Schaffrath-Biografie mit dem Titel „Ich, Gina Wild“ nur den Rückschluss zu, dass Schaffrath der Abschied von Gina nicht so recht gelang. Vielleicht war der Abschied aber auch nicht gewollt, vielleicht war er sogar unmöglich, weil es zwischen Schaffrath und Wild im Grunde keine wesentlichen Unterschiede gibt.

Und so blieb denn auch völlig unklar, mit welcher Stimme sie am Freitagabend während ihrer Lesung sprach. Es traf sich wiederum gut, dass es dem Publikum ohnehin nicht um derlei Feinheiten ging. Es war mehrheitlich pärchenweise erschienen und fiel vor allem dadurch auf, dass es keine besonderen Auffälligkeiten bot. Was es sich von der Lesung versprach, blieb insofern schwer zu sagen, etwas Interessantes erlebte es allerdings nicht. Schaffrath saß in einer Kulisse, deren sagenhafte Pastelligkeit einerseits an ein nobles Wartezimmer erinnerte, wahlweise aber auch an eine Bar.

Nach einer kurzen Begrüßung nahm sie auf einem weißen Ledersofa Platz, griff sich das Manuskript und begann: „An meinem 27. Geburtstag hielt ich ein ganz besonderes Geschenk in der Hand: meinen ersten Pornoschwanz. Es war der Schwanz von Rocco Siffredi, dem größten männlichen Star der internationalen Pornoszene. Das war am 6. Dezember 1997. Nikolaustag.“ Gekicher und Geräusche des Staunens aus den Publikumsreihen waren daraufhin die erwartbare und auch später häufig wiederkehrende Folge.

Man kann nicht sagen, dass es Schaffrath um allzu tiefsinnige Bemerkungen ging. Ihren Werdegang vom unscheinbaren und pummeligen Mädchen zur beliebtesten deutschen Pornodarstellerin wird von ihr mit den einfältigsten Worten geschildert, wobei vor allem bemerkenswert ist, dass sie jede noch so semi-anrüchigen Äußerungen über prächtige Schwänze oder staunenswerte Sexpraktiken mit einer betont aufgesetzten Selbstverständlichkeit zum Vortrag bringt, die die angebliche Anzüglichkeit nur noch potenzieren möchte. Dummerweise klappt das aber nicht. Stattdessen führt das Schauspiel noch einmal vor Augen, wie banal es wohl auch im Pornogeschäft zugeht. Doch Schaffrath strahlt noch immer, wenn sie davon berichtet, spricht von einer wundersam glamourösen und unbekannten Welt voller Verheißungen und unsagbar „leckerer Geschöpfe“. Sie erzählt von exzellentem Sex, totaler Befriedigung und der Erfüllung ihrer Träume, doch warum sie nur zwei Jahre nach ihrem Einstieg in die Branche ihr auch schon wieder den Rücken kehrte, erzählt sie leider nicht.

Laut Expertenschätzungen hat sie in nicht einmal zehn Videos mitgespielt, Dolly Buster bringt es dazu im Vergleich auf ungefähr 300. Die Venus, den Pornopreis für herausragende Leistungen, nahm sie noch in Empfang, um sich fortan lieber anderen Zielen zu widmen. Doch wie es ehemaligen Pornodarstellerinnen mit branchenfremden Zielen meist ergeht, kam auch Michaela Schaffrath nicht besonders weit. Für ein paar Nebenrollen in diversen Fernseh- und Kinoproduktion wurde sie zwar besetzt, doch wirkliche Erfolge hatte sie bislang nicht.

Und so war es dann auch ebenso vielsagend wie auch ein bisschen tragisch, dass Michaela Schaffrath in der letzten halben Stunde ihrer Lesung nichts Besseres vorzulesen wusste als ihre Erinnerungen an das Promiboxen. Doch wenn ein Boxkampf gegen Doro Pesch solch einen großen Platz einnehmen muss, dann kann das nur heißen, dass seit ihrer pornofreien Zeit nicht allzu viel passiert ist. Den Kampf gegen Pesch hat sie übrigens gewonnen. Die Entscheidung im Kampf Schaffrath vs. Wild hingegen steht offenbar noch aus.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen