: Alles wollen – und zwar umsonst
Mit der Demo gegen Sozialabbau wollten die Studis ihren Uniprotest auf andere soziale Bereiche ausweiten. Thematisch gelang es ihnen, personell nicht: Die Akademiker blieben meist unter sich
VON FELIX LEE
Es war nass, es war kalt, und der Glühweinstand vor dem Bahnhof Friedrichstraße wirkte wesentlich verlockender als zum x-ten Mal Berlins Prachtalleen abzulatschen und dabei die gleichen Parolen gegen Unikürzungen und Bildungsklau herunterzuleiern. Und trotzdem: Der Protest will und will nicht abebben.
Über 30.000, zumeist Studentinnen und Studenten, zogen am Samstag erneut vom Brandenburger Tor über den Potsdamer Platz zum Roten Rathaus. Und doch unterschied sich die Demo am Samstag von denen der vergangenen Wochen. Sie war nicht nur gegen Bildungsklau, sondern auch gegen Sozialabbau.
Wahnsinn, könnte man meinen. Und es war auch nicht einfach. Dem gemeinsamen Aufruf des Berliner Bündnisses gegen Bildungs- und Sozialabbau, den Gewerkschaften, studentische Initiativen, Sozialverbände, Landeselternrat, Migranten, Antifa-Gruppen und das globalisierungskritische Netzwerk Attac unterstützten, gingen gerade unter den Studenten teils heftige Diskussionen voraus. Auf den Vollversammlungen der TU hatten sich nach mehr als sechs anstrengenden Streikwochen die Stimmen gehäuft, den Protest thematisch nicht noch weiter auszuwalzen. Die studentischen Anliegen könnten untergehen. Dem war am Samstag ganz sicher nicht so. Transparente mit Aufschriften wie „Wollt ihr die totale Dummheit?“ oder „Good Bye, Learning“ dominierten den Protestzug.
„Das ist eine breite Bündnisdemonstration zwischen allen Kräften, die vom Kahlschlag betroffen sind“, betonte Michael Prütz, Sprecher vom Berliner Sozialforum, gleich zu Beginn der Demo. Ein anderer Teilnehmer verglich gar mit dem 1. November, als über 100.000 Menschen gegen Schröders Agenda 2010 auf Berlins Straßen gingen. Aber erst nach intensiver Suche fand man sie tatsächlich: die Sozialverbände, Gewerkschaften und den Landeselternrat. So etwa Michaela Müller-Klang vom Personalrat der TU: „Es geht uns darum, gemeinsam die Studienplätze zu erhalten. Denn daran hängen auch unsere Arbeitsplätze.“ Etwas weiter ausholen musste die Vertreterin des Landeselternausschusses, Ute Brach: „Unsere Kinder wollen auch mal ein niveauvolles Studium in Berlin machen. Deswegen sollten wir alle hier demonstrieren.“ Ihrem Appell folgten nur wenige. Bei der Demo blieben Nichtstudis die Minderheit.
Immerhin inhaltlich aber war er da, der gesamtgesellschaftliche Überwurf. Die Parolen richteten sich keineswegs nur gegen Studienkonten, Institutsschließungen oder weniger Bücher. „Sofortiger Stopp der Agenda 2010“, „Umverteilung von oben nach unten“ und „Für die Einführung einer Vermögensteuer“ war auf einigen wenigen Transparenten zu lesen. Und für seine Rede gegen den allgemeinen Sozialkahlschlag erntete Berlins DGB-Vorsitzender Dieter Scholz tosenden Applaus. Druck auf Arbeitslose und Einfrieren der Renten seien alles andere als sozial, wetterte er. Erst am Ende seiner Rede bezog er die Studenten wieder ein: „Sozialabbau und Bildungskürzung sind zwei Seiten der gleichen Medaille.“
„Wenn wir noch etwas bewegen wollen, müssen wir unbedingt mehr werden“, findet auch die 27-jährige Soziologiestudentin Sandra: „Das geht nur, wenn wir uns mit den Arbeitslosen und den anderen verbünden.“
Den allumfassenden gesamtgesellschaftlichen Rundumschlag wagten die Initiatoren der Berlin-Umsonst-Kampagne, die mit einem eigenen Block vertreten war. Hinter die Universalparole „Wir wollen alles – und das umsonst“ konnten sich sogar einige obdachlose Punker stellen. Sie waren nur zufällig auf die Großdemo gestoßen.