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Archiv-Artikel

Unerwüschte Katzenbabys

Leverkusens Trainer Klaus Augenthaler fragt, ob er seine treffunfähigen Stürmer „ersäufen“ soll, und Werder Bremen erklimmt mit einem bayernhaften 3:1-Sieg die Tabellenspitze der Bundesliga

AUS LEVERKUSENBERND MÜLLENDER

Die Szene mit den vier Deppen hatte alle mehr erregt als alle anderen viel entscheidenderen Momente. In der Nachspielzeit war Leverkusens Jens Nowotny Bremens Angelos Charisteas mit letzter Energie von hinten in die Knochen gegrätscht: Es gab Rot und Elfmeter, den Kristian Lisztes zum 1:3 verwertete.

Depp 1 war Nowotny: Er hatte den Griechen am Trikot gezogen und dabei als Human-Sense alles umgelegt, was Rasenberührung hatte: zwei Beine und einen Ball. Die Leverkusener hatten nur partiell zugeschaut. Geschäftsführer Calmund formulierte schon im Gehen keine Minute später „’nen klaren Einspruch beim DFB“, und Trainer Klaus Augenthaler lobte zynisch den Referee als Depp 2: „Kompliment, der macht ’nen 80-Meter-Sprint und sieht nicht, dass der Jens den Ball spielt.“ Depp 3 war Torwart Butt, der nämliche Szene durch fahrlässige Tummelei im gegnerischen Strafraum bei Bayers letzter Ecke erst ausgelöst hatte. Augenthaler: „Der hat zwar schon 22 oder so Elfmeter getroffen, aber, soweit ich weiß, noch kein Kopfballtor. Das macht der bei mir nie wieder.“

Depp 4 war Charisteas. Der hatte bei seinem langen Lauf über fast den ganzen Platz mehrfach alle Zeit, den Ball ins leere Tor zu schießen. Immerhin hatte er Nowotnys rabiate Attacke unverletzt überlebt. Und der Ball war am Ende ja auch drin.

Die Szene zeigte eine wesentliche Eigenart des Fußballs. Man beklagt gern individuelles Fehlverhalten und Fehlpfiffe als spielentscheidend, um schwer Erklärliches zu erklären. Etwa warum Werder, das lange sehr zaghaft und ohne den gewohnten Offensivzauber gespielt hatte, das Gipfeltreffen gewann und Bayer Leverkusen, die überlegene Elf mit den vielen Chancen, eben nicht.

Vieles lag an den drei Minuten vor der Pause. Da hatten die beiden werdenden Schalker Ailton und Krstajic innerhalb von 90 Sekunden zweimal getroffen. Ein Doppelschock für die Heimelf. Augenthaler: „Da denkst du: Gut gespielt, du gehst mit 0:0 in die Pause. Und dann passiert so was.“ Auch danach berannte Bayer noch energisch das Bremer Tor, erst recht nach Johan Micouds dummer gelb-roter Karte, aber ohne Erfolg. „Was soll ich mit unseren Stürmern machen, soll ich sie ersäufen?“, fragte der redselige Augenthaler, als seien sie ein Wurf unerwünschter Katzenbabies. Es war zwar die erste Niederlage nach zehn Spielen, aber gleichzeitig das vierte Ligaspiel ohne Sieg, dazu das blamable Pokal-Aus in Hoffenheim. Krise? Unfug, sagt Augenthaler: „Das Blöde am Fußball ist, dass nur die Ergebnisse zählen.“

Die cleveren Bremer fuhren als neuer Tabellenführer mit stolz geschwellter Brust nach Hause. Trainer Thomas Schaaf: „Wir haben ein gesundes Selbstvertrauen. Schön gespielt haben wir schon oft. Aber hier haben wir richtig dagegengehalten, vor allem zu zehnt.“ Performance und Analyse hatten schon was vom Intimfeind Bayern München. Werders Auftreten wirkt titelverdächtig: In den engen Spielen gegen Mitkonkurrenten gnadenlos zuschlagen, effektiv und zweckmäßig. Ob man von der Meisterschaft träume? Fabian Ernst ganz offen: „Das ist im Hinterkopf.“ Die Fans sangen schon Anfang der zweiten Halbzeit triumphierend tröstlich: „Gegen Bremen kann man mal verlier’n …“

Werder Bremen hat nicht nur den wundervollen Mittelfeld-Dämonen Micoud, den wegen eines mittelschweren Fouls vom Platz zu stellen, ein Verbrechen wider die Fußballkunst ist. Bremen hat vor allem das kugelige Phänomen Ailton. Auch am Samstag wirkte er in mancher Szene wie ein Nichtfußballer mit falschen Laufwegen, schlechten Pässen, wenig Aktionsradius, dem vieles misslang: Selbst das Abklatschen mit Trainer Schaaf nach der Auswechslung ging daneben. Aber er ist halt anders als etwa Bayers Berbatow, der Ligaangreifer mit dem groteskesten Missverhältnis zwischen Torschüssen und Treffern. Immer, wo es entscheidend wird, ist Ailton da. So wie beim wegweisenden 0:1.

Da liegen Gedankenspiele nahe. Nur rudimentär Fußball spielen können, aber gnadenlos zuschlagen wie einst Gerd Müller. Ist das nicht einer für Rudi? Im Laufe dieser Woche hatte das Gerücht die Runde gemacht, der Brasilianer ohne Spiel für die Seleçao könne Kandidat für die deutsche Nationalelf werden. Die Einmann-Torfabrik stellte dazu ailtonesk grinsend fest: „15 Tore in 15 Spielen ist sehr gut. Stimmt. Aber ich respektiere deutsche Mannschaft. Hat viele gute Spieler.“ Man wertete das allgemein als vorläufige Absage an einen Passwechsel. Vielleicht aber stimmt die Ablösesumme nur noch nicht.

Bayer Leverkusen: Butt - Juan, Lucio, Nowotny, Placente (68. Bierofka) - Balitsch (54. Bastürk), Schneider, Babic - Ponte - Berbatow, Franca (59. Neuville)Werder Bremen: Reinke - Davala, Ismael, Krstajic, Stalteri - Lisztes, Baumann, Micoud, Ernst (90. Schulz) - Ailton (78. Charisteas), Klasnic (75. Borowski)Zuschauer: 22.500; Tore: 0:1 Ailton (42.), 0:2 Krstajic (44.), 1:2 Nowotny (73.), 1:3 Lisztes (90.+2/Foulelfmeter) Gelb-rote Karte: Micoud (67.)Rote Karte: Nowotny (90.+1)