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Angst vor einem erneuten Scheitern

Heute sollten die Gespräche in der Welthandelsrunde weitergehen – erstmals nach dem gescheiterten Treffen in Cancún. Doch die Fronten bleiben verhärtet. Dass die Runde wie geplant 2005 endet, wird immer unwahrscheinlicher

BERLIN taz ■ Seit Cancún lautet die Gretchenfrage beim Freihandel: Haben Sie gejubelt oder getrauert, als das Welthandelstreffen vor drei Monaten platzte?

Wer den „Sieg der Entwicklungsländer“ feierte, vereinfachte: Der Widerstand gegen die Industrieländer war von einer Gruppe aufstrebender Staaten wie Brasilien, China und Indien ausgegangen, nicht von armen Ländern wie Äthiopien oder Bangladesch. Und weder die Entwicklungsländer noch die Schwellenländer bilden eine homogene Gruppe: Die einen wollen Zucker exportieren und daher liberalisierte Agrarmärkte, die anderen wollen vor allem keinen Reis importieren – und setzen auf geschützte Märkte.

Wer die geplatzte Handelsrunde mit langem Gesicht kommentierte, kritisierte den Rückschlag für den weltweiten Warenverkehr im Allgemeinen und bei den Entwicklungsländern.

Ein Vierteljahr später nun wollten sich Vertreter der 146 WTO-Länder ab heute erstmals wieder an einen Tisch setzen. Am Dienstsitz in Genf und nur auf Beamtenebene, ohne Minister. Doch der Verhandlungsbeginn wurde aufs neue Jahr verschoben: Zu uneins sind die Handelspartner immer noch.

Strittig ist zum Beispiel, ob die USA und die EU ihre Baumwollsubventionen senken oder gar abschaffen. Und welche der vier so genannten Singapur-Themen überhaupt in die Verhandlungen aufgenommen werden. Was ist beispielsweise mit mehr Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen? Damit könnte vor allem in den Entwicklungsländern der Vetternwirtschaft bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ein Ende gesetzt werden, hoffen deutsche WTO-Mitarbeiter. Ein solches Abkommen diene vor allem „als Einfallstor für ausländische Konzerne, die öffentliche Dienstleistungen übernehmen wollen“, meint hingegen Thomas Fritz von Attac und formuliert damit eine Befürchtung vieler Entwicklungsländer. Zwar hat EU-Handelskommissar Pascal Lamy inzwischen angekündigt, man biete bei diesen Herzensangelegenheiten der reichen Länder „mehr Flexibiliät“ an. Doch den Gegnern reicht das noch nicht.

Dass in der laufenden Handelsrunde, nach dem Ministertreffen 2001 in Doha „Doha-Runde“ genannt, Termine platzen, ist schon Gewohnheit. So glaubt mittlerweile „keiner mehr, dass die Handelsrunde wie geplant bis 2005 abgeschlossen wird“, wie ein deutscher WTO-Mitarbeiter offen zugibt. Skeptiker zweifeln gar, dass die WTO mit ihrer Vielzahl an Einzelinteressen und der Überfrachtung an Themen jemals einig werden wird.

Ein führender Handels- und Entwicklungsexperte der Bundesregierung, der ungenannt bleiben will, fordert eine Reform des Abstimmungsmodus. Bisher gilt: ein Land, eine Stimme. Das sei demokratisch, aber auch schwerfällig. Deshalb brauche man „repräsentative Elemente“ – etwa, dass sich mehrere Länder zusammentun. Andere wie der WTO-Ökonom Rudolf Adlung halten dagegen, dass man keinesfalls die nationale Souveränität eines Landes beschränken dürfe.

Bisher sind WTO-Abkommen meist dadurch zustande gekommen, dass USA und EU sich die Entwicklungsländer in Einzelsitzungen vornahmen, bis sie ihre Forderungen aufgaben. Das ist seit Cancún anders, als sich die Schwellenländer in der neu gebildeten „Gruppe der 21“ zum ersten Mal geschlossen den Wünschen aus Brüssel und Washington widersetzten.

Gegen einen schnellen Abschluss der Handelsrunde spreche auch die Wirtschaftslage, meint Richard Senti von der Technischen Hochschule in Zürich: „In konjunkturell schwachen Zeiten ist es immer sehr schwierig, den Außenhandel zu öffnen, denn das bewirkt im Inland Strukturveränderungen – und die tun in schlechten Zeiten weh.“ KATHARINA KOUFEN

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