: Mit Biss für die Gesundheit
Beim 10. Kongress „Armut und Gesundheit“ wird diskutiert, wie sozial Benachteiligte gesund bleiben können. Projekte in Berlin vermitteln Wissen über Ernährung, Zahngesundheit und Mitbestimmung
VON JULIANE GRINGER
Jegliche Maßnahme zur Gesundheitsförderung nützt nichts, wenn sich der Patient nicht mal die Fahrkarte in die Klinik leisten kann, sagt ein Psychiater auf dem Podium des Kongresses „Armut und Gesundheit“ gestern im Rathaus Schöneberg. Armut kann krank machen, ist „vererbbar“, grenzt aus, verursacht ein mindestens doppelt so hohes Risiko, Opfer von Gewalt und Unfällen zu werden – die Liste erschreckender Statistiken ist lang. 17 Prozent der Berliner leben unter der Armutsgrenze. Sozialsenatorin Knake-Werner (PDS) ist aufgerüttelt. Sie versprach, mit der Reformierung des Gesundheitswesens in Zukunft Mittel gerechter zu verteilen: „Wir müssen die Gelder sozial und räumlich besser zuordnen.“
Der Kongress, der sich mit Blick auf seine zehnjährige Geschichte inzwischen als „soziale Bewegung“ sieht, bringt bis Samstagmittag in rund 50 Workshops und Foren Wissenschaftler und Praktiker miteinander ins Gespräch. Unter dem Thema „Neue Bewegungen für Gesundheit – Netzwerke und Strukturen für gesunde Lebenswelten“ sollen sie auch vor dem Hintergrund des geplanten neuen Präventionsgesetzes über die Ressourcen der Gesundheitsförderung nachdenken.
Für Kinder und Jugendliche, alte Menschen, Alleinerziehende, chronisch Kranke und Behinderte ist der Faktor Armut in Bezug auf ihre Gesundheit besonders belastend. Dabei gehe es nicht nur um materielle Armut, sondern auch um den Mangel an Wissen, meint Jens Dobler von Gesundheit Berlin e.V., dem Kongress-Veranstalter. Etwa beim Thema gesunde Ernährung: Viele Schulen klären darüber im Unterricht und bei Projekttagen auf. In der Jens-Nydahl-Grundschule in Kreuzberg beispielsweise wird nicht nur aus biologischem Anbau gekocht, „die Kinder sitzen auch in Ruhe gemeinsam am Tisch wie zu Hause in den Familien“ so Rektorin Manuela Seidel. An der Schule lernen 600 Kinder, 95 Prozent von ihnen sind nicht deutscher Herkunft, 80 Prozent leben von Sozialhilfe. „Wir beziehen die Eltern mit ein“, so Seidel. „In Mütter-Gesprächskreisen klären wir darüber auf, was Schule bedeutet, wie man den Kindern das Lernen leichter machen kann und dass beispielsweise übermäßiger Fernsehkonsum ihnen schadet.“
Der Kongress stellt dieses und andere Projekte vor, die die Situation von sozial Benachteiligten verbessern. Der Gemeinde-Dolmetschdienst Berlin qualifiziert Migranten, die Arbeitslosenhilfe empfangen, als Dolmetscher für soziale und medizinische Einrichtungen. In Friedrichshain-Kreuzberg sind kleine „Kietzdetektive“ unterwegs, die in ihrer Nachbarschaft Probleme aufspüren und selbst mögliche Lösungen vorschlagen sollen. Die Kinder verfassen Berichte über ihre Beobachtungen und legen sie dem Bezirksamt vor, mit dem beraten wird, was umgesetzt werden kann. So sind schon neue Grünflächen entstanden und Spielgeräte wurden repariert. „Die Kinder sollen dabei lernen, das eigene Wohnumfeld kritisch zu beobachten, sich einzumischen, wenn es dort Beeinträchtigungen gibt und demokratisch mitzureden“, so Projekt-Koordinatorin Ingrid Papies-Winkler.
Auch Zahngesundheit und soziale Benachteiligung sind zwei bittere Verwandte. Die Landesarbeitsgemeinschaft Berlin zur Verhütung von Zahnerkrankungen e.V. (LAG) erklärt, wie man die Zähne richtig putzt und die Angst vor dem Zahnarzt verliert. Mit 75 geschulten Zahnarzthelferinnen geht sie in Kindergärten und Schulen – vor allem in den Problembezirken. „Wir versuchen, gleiche Chancen zu ermöglichen“, meint LAG-Geschäftsführer Rainer Grahlen. Mit der Schöneberger Riesengebirgs-Hauptschule ist die LAG eine Kooperation eingegangen und betreute die Schüler dort ein Jahr lang besonders intensiv. „In dieser Zeit hat sich die Einstellung zur Zahnpflege bei vielen der Jugendlichen nachweislich positiv verändert“, so Grahlen.