: „Die Strickmuster sind zu alt“
INTERVIEW THILO KNOTT
taz: Herr Kannegiesser, glauben Sie an die Sterne?
Martin Kannegiesser: Wie bitte?
An Sternzeichen.
Daran glaube ich nicht. Warum?
Sie sind Skorpion, Ihr Gegenüber Jürgen Peters bei der IG Metall ist Fisch.
Passen die nicht gut zusammen?
Skorpionen wird unterstellt, sie seien stärker, was Persönlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit angeht.
Von der Seite habe ich die Tarifverhandlungen noch nie betrachtet. Also, er ist schon mal wesentlich größer als ich.
Wenn Sie eine Partnerschaft eingehen würden, kommt laut Astrologe Winfried Noé dies dabei heraus: „Einer von Ihnen wird sich in irgendeiner Weise unterlegen fühlen …“
Erstaunlich. Das passt.
„Ihnen fällt es nicht leicht, in gleichem Maße zu geben und zu nehmen, was zu Konflikten führen wird.“
Ja, das passt auch.
Was geben Sie denn der IG Metall in dieser Tarifrunde?
Das wichtigste Ziel muss für beide Parteien doch sein, den weiteren Abbau von Arbeitsplätzen und die Auszehrung unserer Industrie zu stoppen. Die Metall- und Elektroindustrie ist in den 90er-Jahren in jedem Jahr durchschnittlich um vier Prozent gewachsen, ehe vor drei Jahren die Stagnation eingetreten ist. Das kann man nicht nur mit konjunkturellen Ursachen erklären, das hat auch etwas mit überkommenen Strukturen zu tun, die heute nicht mehr passen.
Das Ziel, den Beschäftigungsabbau zu stoppen, würde jede Gewerkschaft unterschreiben. Noch mal: Was geben Sie der IG Metall? Bis zu 1,4 Prozent Lohnzuwachs ist nicht sehr viel.
Der Verteilungsspielraum ist tatsächlich minimal, die Produktivitätsentwicklung der Gradmesser. Und selbst dabei dürfte man nicht die ganzen prognostizierten 1,4 Prozent verteilen.
Sie gehen mit Ihrem Angebot noch weiter runter?
Nein. Aber man muss sehen, dass dieses kleine Wachstum nicht kalorienhaltig ist.
Nicht kalorienhaltig?
Dass wir überhaupt ein Plus haben, liegt an zwei Dingen: Der Produktivitätsfortschritt ist zum großen Teil dem bloßen Abbau von Personal geschuldet. Zudem haben wir einen permanenten Preisdruck. Wenn wir die Preise nicht ständig senken würden, hätten wir niemals unser Weltmarktergebnis erreicht.
Sie nehmen aber nicht nur den Verteilungsspielraum für sich in Anspruch, sondern wollen auch noch an die Arbeitszeitregelung ran – und zwar nach oben. Herr Kannegiesser, Sie geben der IG Metall ziemlich wenig.
Wir können doch nicht mehr nach dem alten Strickmuster funktionieren: Wir wollen mehr Geld – dann war’s das! Wir müssen auch einen Beitrag zu den Strukturveränderungen leisten. Die Frage ist: Wie stellen wir uns auf eine schärfere Wettbewerbssituation ein?
Wie?
Die Unternehmen müssen sich auf schnelle Wechsel einstellen. Es gibt Phasen, wo zur Jobsicherung eine Arbeitszeitverkürzung richtig ist, wie das aktuelle Beispiel Opel zeigt, und Phasen, wo zur Jobsicherung Kostensenkung unvermeidlich ist. Um ohne Entlassungen die Produktionskosten zu senken, habe ich zwei Alternativen: Ich erhöhe die Arbeitszeit oder ich ziehe dem Arbeitnehmer etwas vom Lohn ab. Wir sagen, das Lohnniveau soll gleich bleiben, der Mitarbeiter muss aber einige Stunden mehr arbeiten, also Freizeit zur Sicherung seines Arbeitsplatzes investieren. Im Konkurrenzumfeld globalisierter Märkte müssen wir den Betrieben auf freiwilliger Basis die Möglichkeit eines Arbeitszeitkorridors von 35 bis 40 Stunden geben. Wie viel davon konkret eingesetzt wird, entscheiden die Betriebsparteien. Das heißt auch: Wenn der Betriebsrat Nein sagt, findet das nicht statt.
Die Betriebe können jetzt schon Haustarife abschließen, wenn Firmen in Krisen geraten.
Es kann nicht nur um die Notfalloperation gehen. Wenn der Insolvenzverwalter durch den Betrieb geht, ist es schon zu spät. Wenn selbst die Gewerkschaft sagt, in 35 Prozent aller Betriebe haben wir schon Sonderklauseln, die Grauzone nicht mitgerechnet, dann wird die Ausnahme ohnehin zur Regel.
Der Vermittlungsausschuss hat den Tarifparteien in einer unverbindlichen Erklärung aufgegeben, innerhalb eines Jahres freiwillige Vereinbarungen für Öffnungsklauseln durchzusetzen. Können Sie damit leben?
Ja, das bestätigt uns. Dazu haben sowohl wir als auch die IG Metall auch eindeutige Erklärungen abgegeben. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass das Einräumen von Gestaltungsspielräumen in den Betrieben für beide Tarifparteien nichts radikal Neues ist. Es ist jetzt unbestritten zwischen beiden, dass es bei der Tarifrunde nicht nur ums Geld gehen kann, sondern um strukturelle Anpassungsprozesse – dazu gehört die Frage der Gestaltungsspielräume. Wenn wir es nicht hinbekommen, dann brauchen die Betriebe tatsächlich die gesetzlichen Voraussetzungen. Aber die Tarifpolitik muss ihren Beitrag zur Beschäftigungsmisere leisten, sonst hätte sie versagt.
Wenn Sie Ihren Beitrag zur Beschäftigung leisten, woher kommt der Rest?
Das ist Sache der Politik, die mit der anstehenden Sozialgesetzgebung auf dem richtigen Weg ist. Das spiegelt sich im Ergebnis des Vermittlungsausschusses auch wider. Es ist doch Realität, dass unsere wirtschaftlichen Leistungen nicht mehr mit den Verpflichtungen übereinstimmen, die wir übernommen haben. Das müssen wir anpassen.
Heißt „anpassen“, dass wir bei der sozialen Marktwirtschaft künftig das „sozial“ streichen müssen?
Im Gegenteil. Wer sagt, er will dem in unserer Kultur ganz tief verwurzelten Prinzip der Solidarität eine Chance geben, der muss erst einmal dafür sorgen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vorhanden ist. Entweder schaffen wir das oder wir müssen mit unseren Ansprüchen runter. Das aber ist alleine mit Konjunkturprogrammen und weiter Schulden machen nicht getan.
Sondern?
Da ist jeder Einzelne gefragt, der mehr Eigenverantwortung übernehmen muss, was etwa Altersvorsorge angeht. Wir müssen uns auf diejenigen konzentrieren, die sich nicht selber helfen können – für diese Menschen muss das soziale Netz erhalten bleiben.
Mehr Eigenverantwortung übernehmen klingt gut. Wo übernehmen die Firmen Eigenverantwortung?
Indem sie Arbeitsplätze erhalten und ausbauen. Eine Firma kann kein Sozialamt sein.
Gibt es bei den Betrieben nicht auch Defizite, was Innovation angeht?
Natürlich. Wir müssen uns klar machen, dass unser Vorsprung vor der internationalen Konkurrenz aufgebraucht ist.
Diese Erkenntnis ist nicht über Nacht hereingebrochen.
Nein. Die anderen sind schneller geworden – und wir zu langsam. Es ist ein Unterschied, ob mir ein Entwicklungsingenieur tariflich 1.500 Stunden im Jahr zur Verfügung steht oder 1.800 oder 1.900 Stunden – und da brauch ich nicht mal nach Asien gehen. Wir in Europa brauchen ein neues Aktivitätsniveau. Das zeigt das Beispiel Opel: In ein und derselben Vereinbarung begegnet man der Krise so, dass man vorübergehend mit der Arbeitszeit nach unten geht …
… auf 30 Stunden pro Woche …
… für Angestellte und Entwicklungsleute aber zwei Urlaubstage streicht und die tägliche Arbeitszeit erhöht. Kürzung und Erhöhung im selben Unternehmen.
Herr Kannegiesser, müssen sich die IG Metall und der Vorsitzende Peters nach verlorenem Ost-Streik und den Führungsquerelen etwas beweisen?
Niemand muss sich hier etwas beweisen. Die Situation im Osten war eine Ausnahmesituation. Wir sind auch nicht beim Fußballspiel, wo ich meinen Funktionären und Mitgliedern zeigen muss, dass ich doch tolle Tore schießen kann.
Wäre Ihnen Berthold Huber als erster Ansprechpartner lieber gewesen?
Das kann ich nicht sagen. Was sagen die Sterne?
Huber ist Wassermann.
Ob Fisch oder Wassermann: In der Praxis habe ich bisher noch keinen großen Unterschied zwischen Peters und Huber feststellen können.