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Archiv-Artikel

Studenten glauben nicht an stille Nacht

Die Ferien kommen näher, die Studierenden lockt der heimatliche Weihnachtsbaum. Droht dem Unistreik das Ende? Von den Studierenden sehen nur einige den Protest auf der Kippe. Die meisten sind sicher: Es wird im neuen Jahr weitergehen – ob mit Aktionstagen oder gleich als soziale Bewegung

„Wenn die normalen Seminare stattfinden, dann ebben die Proteste sofort ab“, so ein Student

VON ANNA LEHMANN

Vor dem Roten Rathaus steht die amputierte Weihnachtstanne und mahnt: bald nun ist Weihnachtszeit. In ihrem Schatten biwakieren nun die vierte Woche Studenten. Siebenmal werden sie noch wach, heißa, dann … sind Baum und Studenten verschwunden? „Nein“, betont Torben Reelfs. „Wir machen weiter. Mindestens zwei Leute werden immer da sein, selbst am Heiligabend.“ Der Fachschaftssprecher der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen-Fakultät (LGF) schaut herausfordernd zum Rathaus hoch. Er setzt Kaffeebecher und Brötchen ab und ein optimistisches Lächeln auf. „Letzte Woche hatte ich ein Motivationsloch, aber jetzt glaube ich wieder an den Streik.“ 83 Prozent der Berliner ständen hinter den Studierenden, zitiert er eine Umfrage des ZDF, und deutet auf Kaffee und Brötchen. „Das hat mir gerade ein Passant spendiert.“

Die LGF-Studenten der Humboldt-Universität (HU) haben die Streiklawine ins Rollen gebracht. Auf Beschluss des HU-Präsidiums sind sie Bauernopfer der im Sommer ausgehandelten Einsparungen. Mit der LGF könnten auf einen Schlag 31 von 90 zu kürzenden Professuren beseitigt werden. So müssten die anderen Institute der Humboldt-Uni weniger bluten. Die Studenten beschlossen opferunwillig am 15. Oktober den Streik. Im November zogen schließlich auch die gesamte Universität und die beiden anderen großen Hochschulen TU und FU nach.

„Wir haben unheimlich viel Solidarität erfahren“, stellt Torben befriedigt fest. Ein harter Kern von 40 Studenten ist seit Semesterbeginn aktiv. Vor einer Woche haben sie das Gebäude besetzt. Nun, da keine Lehrveranstaltungen stattfänden, gäbe es wieder mehr Unterstützung, mehr Leute, mehr Luft. Vielen Kommilitonen sei während des drei Monate anhaltenden Streiks die Puste ausgegangen. Jetzt atmet Torben auf: „Es ist herrlich, plötzlich ist wieder richtig was los in unserem Auditorium.“

Neben symbolträchtigen Aktionen haben die Landwirtschaftler auch inhaltlich etwas auf die Beine gebracht. In wochenlangen Besprechungen haben Professoren und Studenten einen Strukturplan für ihren Fachbereich entworfen. Danach würde sich der Fachbereich mit 17 Professuren bescheiden und 14 in den Streichungspool abgeben. „Es war hart“, erinnert sich Torben, „die Professoren haben sich ihre Sitze gegenseitig unter dem Hintern wegdiskutiert.“ Aber jetzt habe man ein Papier in der Hand, das man dem Akademischen Senat, der gleich nach den Feiertagen am 27. Dezember tagt, vorlegen könne. Am 17. Januar wird eine Demonstration stattfinden, zusammen mit dem Bauernverband und den bundesdeutschen Agrarfakultäten. Torben blickt zum Rathaus: „Irgendwann wird uns Wowereit anhören müssen.“

Auch von der Freien Universität hat der Regierende Bürgermeister eine Einladung zu Gesprächen erhalten. Seit einer Woche gibt es am Institut für Politikwissenschaft, kurz OSI, die Arbeitsgruppe „Runder Tisch“. Nils Jansen gehört zu der Gruppe, die im Januar Studenten und Politiker zu einer langen Nacht der Verhandlungen bitten wollen. Wissenschaftssenator Thomas Flierl habe bereits zugesagt, doch dessen für Finanzen zuständiger Kollege Thilo Sarrazin und Klaus Wowereit hätten noch nicht reagiert. „Wir haben auch andere soziale Gruppen angeschrieben. Aber wenn Sarrazin und Wowereit absagen, dann lassen wir das Ganze platzen. Wir wollen nicht mit Leuten aus der zweiten Reihe verhandeln – sondern endlich mal mit denen, die was zu sagen haben.“ Der Forderungen gibt es viele, doch wenig konkrete: keine Kürzungen, keine Studiengebühren, das Übliche. Und ein wenig darüber hinaus: Das Sozialticket für Sozialhilfeempfänger soll wieder her.

Von Anfang an haben die Studenten erklärt, dass sie nicht nur Eigeninteressen vertreten wollen, sondern generell gegen Sozialabbau protestieren. Am Wochenende haben sie es erneut demonstriert. „Die Leute, die diese Demo organisiert haben, machen weiter beim Berliner Bündnis gegen Bildungs- und Sozialabbau“, berichtet Jens Fischer. Der Psychologiestudent wünscht sich, dass auch die Studentenproteste in dieses Bündnis münden. „Wir haben erreicht, dass viele Studis politisiert wurden, dass sie beginnen, sich für ihre Uni und für Haushaltspolitik zu interessieren.“

Einen Flächenbrand haben die Studenten bisher nicht gelegt. „Lasst die Studenten doch machen,“ fasst ein Erwerbsloser die Stimmung in seinem Verband zusammen. Er ist der einzige Nichtstudent bei einer Diskussion im OSI, mit dem zugespitzten Titel „Streik auf der Kippe. Wie weiter?“. Peter Grottian, der ewig Strickwesten tragende Politik-Professor, sieht den Streik mangels Masse am Zusammenbrechen. „Geht zu den Leuten, erarbeitet Inhalte, werdet eine soziale Bewegung“, beschwört er seine Studenten. Diese reiben sich die Augenringe und heben die Hände: Woher die Leute nehmen. Max Bitzer steht im Foyer und zeigt auf den Streikpostenplan: „Überall Lücken, es kostet enorm viel Kraft, die Bude dichtzuhalten. Wenn die normalen Seminare stattfinden, dann ebben die Protestaktionen sofort ab.“ Von über 3.000 OSI-Studenten seien etwa 60 aktiv. Gestern hat die Vollversammlung entschieden, dass die Besetzung gelockert wird. Ab Januar ist nur noch einmal in der Woche Besetzungstag.

Bis mindestens Ende Januar solle das HU-Hauptgebäude geschlossen bleiben, fordert Peter Hartig vom ReferentInnen-Rat. So könne das Projekt „Gegen-Universität“ reifen. Seit gestern finden alternative Veranstaltungen im angrenzenden Seminargebäude statt. Dort kann jede Gruppe, ob Studenten oder Rentner, ihre Seminare abhalten. „Am ersten Tag schon 25 Veranstaltungen“, freut sich der Informatikstudent. „Ich stelle mir Diskussionszirkel zu Marx-Texten und solche verrückten Sachen vor.“ Auf die Weihnachtsferien freut er sich. Endlich mal erholen, und dann könne es mit voller Pulle wieder losgehen.