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Archiv-Artikel

Die Rückkehr des Gehtnix

In Mobbingen gerät die Welt aus den Fugen. Rettet sie der Herr der Tiefbauringe?

Schwamm rappelte sich mühsam vom Kiesbett auf. Im ersten Augenblick wusste er gar nicht, wo er war, dann fiel ihm ein, dass er dies seit Tagen nicht mehr wusste. Die Weihnachtsfeiern auf der Großbaustelle nahmen ja kein Ende: Überall musste angestoßen werden. „Noch ein Bier rat ich dir – noch ein Korn, sonst ein Horn!“ schrien die „Worx“ an jeder Ecke, an jedem Stahlträger.

Schwamm kniete in der tiefen Dunkelheit, draußen vor der schweren Plastikplane, die das Haupttor zur künftigen Lackierhalle verhängte. Fahles blaugelbes Licht glühte von fern durch die Folie wie der böse Blick eines Drachen. Er musste hier draußen bewusstlos hingefallen sein, als er sein Wasser an einem „Troll“-Bagger abschlagen wollte.

Da fiel dem Zimmermannsgesellen sein Meister wieder ein: „Herr Fredo!“, schrie er mit heiserer Stimme. Und fiel entsetzt wieder der Länge nach hin. Denn nun erinnerte sich der gute Schwamm an das Grauen der letzten Monate, an all die Schrecken, die Bier und Schnäpse ihn hatten vergessen lassen.

Er dachte an Alf, den „Zauberer“ unter den Gewerkschaftsfunktionären, der ihn und Meister Fredo überredet hatte, Ruhe und Grün von Mobbingen aufzugeben und aufzubrechen ins Ungewisse, hierher, zu den Gruben von Marder. Marder! Der Baukonzern, in dem keine Tarifverträge galten und keine Frühstückspausen, in dem der Tag war wie die Nacht, schwarz vom Ruß und giftig vom Gestank der nimmermüden Teerkocher. Hier galt nur ein Wort: das des Konzernherrn, den alle heimlich „Sau“ nannten, der sich am liebsten aber mit seinem Vornamen anreden ließ. Die Sau Ron …!

„Tausende ächzen unter seiner Knute“, hatte Alf den beiden kleinen Mobbits eindringlich erzählt, „und wenn wir ihn nicht aufhalten, werden bald alle braven Bauarbeiter von Mitropa unter seiner Grausamkeit leiden!“ Doch ein Ding gebe es, das den dunklen Herrn besiegen und seine Macht für immer vernichten könne. „Und du“, rief Alf, „du, Fredo, bewahrst es auf!“

Einst, als die Wege noch krumm waren, herrschte nämlich ein weiseres Geschlecht über Mitropa, die Sozen vom Gothinsberg hießen sie, und nur wenige Lieder tragen noch das Gedächtnis an ihre Taten fort …

„Was“, hatte Fredo gefragt, „ist das für ein Ding, von dem du sprichst?“ Und Alf hatte versetzt: „Du kennst es gut. Dein Onkel Bill hat es dir übergeben, ehe er nach Brechtal reiste.“ Da war Fredo an seinen Bücherschrank gegangen und hatte herausgezogen, was der „Zauberer“ meinte. Es war das Betriebsverfassungsgesetz von 1981. Herbert Wehner selbst hatte es einst geweiht. Ein Jahr lang trug ers in seiner Kunstlederaktentasche mit sich und ließ es vom magischen Odem der Käsesemmeln durchtränken, welche die Hohe Frau Greta ihm schmierte.

„Nichts fürchtet der dunkle Herr von Marder mehr als diese Schrift“, hatte Alf gesagt. „Wenn es gelingt, ihm dies Ding auf den Schreibtisch zu legen, zerbricht sogleich seine Macht, und die Länder von Mitropa werden wieder aufatmen können!“

Schwamm, dem die Knie von den Kieseln schmerzten, fragte sich, wie lange es her war, dass sie sich auf den Weg gemacht hatten, und er konnte es nicht bestimmen. Neun Gefährten waren sie damals, als sie die Gewerkschaftszentrale in Brechtal verlassen hatten. Wie sehr wünschte er sich Gimlet herbei, den unermüdlichen Tiefbauspezialisten mit dem harten Hammer! Oder Leckmichwas, den hübschen Architekturstudenten vom anderen Ufer des Naduihn, der so vortrefflich mit dem Pfeil umgehen konnte! Und dann Seicher … Auchnhorn … der „Gehtnix“! Schwamm hatte nie viel von ihm gehalten. Aber nun ahnte er, dass niemand seinem Meister und ihm besser aus der Klemme helfen konnte als der seltsame Landvermesser mit den struppigen Haaren und dem schmutzigen Mantel.

„Mein Meister! Fredo!“, durchfuhr es den Gesellen, und er schüttelte Müdigkeit und Trunkenheit von sich ab, als er aufsprang. Sein Kopf tat ihm weh, und vor seinen Augen tanzten in der Dunkelheit gespenstische Lichter, doch er bemühte sich, ruhiger zu werden und nachzudenken. Er hatte keinen Zweifel mehr über seine Pflicht: Er musste seinen Herrn retten.

Während der gute Schwamm nach einem Weg zurück zur Weihnachtsfeier suchte, fand sich der arme Fredo inmitten einer Horde von „Worx“ – so nannte die Sau Ron ihre Knechte – wieder. Fredos Kopf war betäubt von Lärm und Gestank. Er war knietief eingeweicht von Bratwurstfett und dem Schaum schlechten Biers. Vorsichtig tasteten seine Finger nach dem „Schatz“ unterm Blaumann. Und – ja! – die Abschrift des Betriebsverfassungsgesetzes stak immer noch sicher im Brustbeutel. Ein riesiger Gerüstbau-Vorarbeiter schwankte ihm wie ein Turm entgegen, und Fredo suchte furchtsam nach dem magischen Brieföffner in seiner Tasche. „Ich bin froh, dass du hier bei mir bist“, flüsterte er. „Hier am Ende aller Dinge.“ Ein warnendes blaues Glühen schimmerte um die Klinge …

Wie’s weitergeht, erfahren Sie ab heute im Kino – oder in der DGB-Geschäftsstelle Ihres Vertrauens. GERT OCKERT