Trotz allem ein ähnliches Lebensgefühl

OST-WEST-AUFNAHMEN Eine Ausstellung im Museum für Film und Fernsehen dokumentiert in Amateurfotos und -filmen die Wendemonate 1989/1990: Gemeinsames und Befremdliches aus dem Ost- und West-Alltag

„Ich fahr nicht mehr nach drüben, weil ich noch nie so viel Dreck gesehen habe“

VON DETLEF KUHLBRODT

„Die Ausstellung ‚Wir waren so frei – Momentaufnahmen‘ führt anhand von Foto, Film und Fernsehen den Bilderreichtum der Zeitenwende vom Mai 1989 bis Dezember 1990 vor Augen“, heißt es in der Pressemitteilung. Alle waren aufgerufen, sich mit Einsendungen zu beteiligen, rund 180 hatten mitgemacht und mehr als 6.000 Fotos und 40 Stunden Film geschickt, 300 Fotos und 40 Filmminuten wurden für die Schau ausgewählt.

„Die eindrucksvollen Bilder der Ausstellung dokumentieren viele emotionale und glückliche Momente, als die Mauer überwunden und die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht wurde“, sagte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) anlässlich der Eröffnung. Ein großer Teil der unverfälschten Aufnahmen der damaligen Zeit mache klar, „dass die untergehende DDR ein klares Unrechtssystem war“. Fotos können natürlich nicht klarmachen, dass ein Staat ein „Unrechtssystem“ ist. Das widerspricht ihrem Wesen. Doch genug der Mäkelei: Angenehm an der Loriot-Nachfolge-Ausstellung ist, dass sie eher zurückhaltend dokumentiert.

Im ersten Raum hängen atmosphärisch meist dichte Privataufnahmen. Eine Abrisswohnung, an der Wand steht: „Ich hab geträumt, der Krieg wär vorbei“. Dies Bild mit dem Zitat aus dem Kitschsong von Ton Steine Scherben hätte genauso auch in Westberlin Anfang der 80er-Jahre gemacht werden können. Bilder von der Militärparade zum 40. Republikgeburtstag, von Demonstrationen gegen die Fälschung der Kommunalwahl vom 7. Mai 1989. Eine hübsche, menschenleere Schwarz-Weiß-Aufnahme mit bildteilenden Wäscheleinen und Bänken vom Ort der Gründung des Neuen Forums; Lager mit DDR-Flüchtlingen in Budapest, Vopos, die „für Rechtssicherheit für Bürger und Volkspolizisten“ demonstrieren, Menschenschlangen, die fürs Begrüßungsgeld anstehen, Werbefuzzis, die Wrigley’s-Kaugummi an die ankommenden DDRler verteilen, Bilder von Leipziger Nazis und auch von der „Halt’s Maul, Deutschland“-Demo, mit der man die Wiedervereinigung begrüßt hatte.

Viele Bilder erinnern daran, dass die Spuren der Geschichte, die man im Westen so sorgfältig getilgt hatte, im Osten noch präsent waren. Im zweiten Ausstellungsraum kann man die deutsch-deutsche und alliierte Fernsehberichterstattung aus Paris, London, New York und Moskau noch einmal verfolgen. In Interviews aus diesem Jahr erinnern sich vier Journalisten an die Umstände der damaligen Berichterstattung. Der amerikanische Korrespondent erzählt von einem DDR-Bürger, der ihm gesagt hätte: „Nun werde ich Astronaut.“ Dieser Satz schien ihm alles zusammenzufassen, denn „wer durch die Mauer kommt, kann auch auf den Mond“. In einem dritten Raum sind Dokumentarfilmausschnitte von Thomas Heise, Volker Koepp, Helke Misselwitz und Ulrike Ottinger ausgestellt. Diese Filme vermitteln am ehesten einen Eindruck von jener Zeit und erinnern sehr schön auch an die Ost-West-Rassismen, wenn eine West-Tussi angewidert von ihrem ersten Besuch im Osten spricht: „Ich fahr nicht mehr nach drüben, weil ich noch nie so viel Dreck gesehen habe.“ Dieser Dreck komme daher, dass alle Ostler faul seien.

Jürgen Kuttner erklärt in Helke Misselwitz’ „Novembertage“ vor der Gethsemanekirche die Lage; ein lyrisch gebildeter Genosse sagt: „Ich steh mit Schmerzen vor den Scherben meiner eigenen Parteiarbeit“, ein humoriger Dokumentarist spricht von dem „Mädchen mit dem großen Po an der unterentwickelten Elektronik“ auf dem Bild da. Sehr schön sind auch die Wendeerlebnisberichte, die die Besucher in ein dafür vorgesehenes Buch geschrieben haben: „Ich habe Herrn Schabowski im Fernsehen gesehen, die Kunde vernommen und bin in’s Bett gegangen. Ich ahnte, es wird furchtbar.“ oder: „In meinem süddeutschen Heimatdorf war ich mit zwei Kumpels Straßenlaternen austreten. Wir hatten uns vorgenommen, das ganze Dorf zu verfinstern. Bei der fünften Laterne wurden wir von einem Typ erwischt. ‚Mensch, Jungens, was soll der Scheiß! Wisst ihr eigentlich, was heute Nacht los ist?‘ Wir hatten keine Ahnung. Mit 14 gefangen im Wald interessiert einen nur das Mädchen aus der Nachbarklasse.“ Ein anderer nahm’s dann doch sehr positiv: „Tolle Kollegen aus dem Osten und dem Westen! Und immer wieder die Erfahrung, wie ähnlich es war, in den 80er Jahren Jugend zu sein. Die Berichte, wie ähnlich das Lebensgefühl trotz allem war. Große Bereicherung – bei all der Nörgelei.“

■ 1. Mai bis 9. November, Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz