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Archiv-Artikel

Zwei Fremde im eigenen Land

Von Janukowitsch enttäuscht, zu Juschtschenko kein Vertrauen. Im Osten des Landes ist mancher frustriert

KIEW taz ■ Am Abend, als sich auf dem Unabhängigkeitsplatz die Demonstranten in die Arme fallen, sitzen Ira und Wica bedrückt in einer Küche am Kiewer Stadtrand und verstehen die Welt nicht mehr. Das Oberste Gericht hatte am Freitag entschieden, dass die Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten Wiktor Janukowitsch und Wiktor Juschtschenko wiederholt werden müsse und als Termin den 26. Dezember genannt. „Zum Glück bin ich da bei meinem Freund in Italien Weihnachten feiern“, sagt Wica gallig.

Bei den ersten beiden Wahlgängen hat die 26-jährige Historikerin, die nur für eine Besprechung mit ihrem Doktorvater aus Donezk angereist ist, Wiktor Janukowitsch gewählt. „Ich hab gedacht, dass er der Bessere ist“, sagt die schlanke Frau. Ihre Freundin Ira, die einen großen Stapel Pfannkuchen backt, pflichtet ihr bei: „Er hat als Ministerpräsident eine viel sozialere Politik gemacht als Juschtschenko.“ Der sei doch ein Wirtschaftsliberaler, und den brauche die Ukraine ganz bestimmt nicht.

Ira ist schon vor zwei Jahren aus Donezk nach Kiew gezogen, doch sie fühle sich immer noch fremd. Sie wohnt an der Metro-Endhaltestelle Charkoska, wo Autos langsam um vereiste Schlaglöcher steuern und Hundemeuten lungern. Von ihrem Küchenfenster im neunten Stock sind die goldenen Kuppeln der Michaeliskirche im Zentrum der Stadt nicht zu sehen, und auch nicht die neuen gläsernen Einkaufspassagen.

Am Tag zuvor hat sich Wica das Treiben auf dem Unabhängigkeitsplatz angeschaut. „Die laute Musik, die Fahnen, die Slogans. Die Bässe waren wie Trommelfeuer in meinem Kopf“, klagt sie, „ganz schlecht ist mir davon geworden.“ – Wir sind viele, man kann uns nicht besiegen, habe die Menge gebrüllt. „Das war so aggressiv“, sagt Wica. „Ich weiß nicht, ob das hier noch mein Land ist.“

Diese Zweifel hat sie allerdings schon seit dem 22. November, dem Tag nach der Stichwahl. Dass die Regierung das Ergebnis des ersten Wahlgangs gefälscht hat, hat Wica ihrem Favoriten, dem Ministerpräsidenten Janukowitsch, nicht übel genommen. Schließlich hätten das alle getan. „Aber dass Janukowitsch beim zweiten Mal so massiv manipuliert hat“, sagt Wica und tunkt dabei einen Pfannkuchen in saure Sahne, „das hab ich nicht mehr verstanden.“ Wen habe sie da eigentlich unterstützt, habe sie sich gefragt, wen habe sie gewählt? „Das hat weh getan, und das tut es immer noch“, sagt sie.

Das Gericht habe zwar salomonisch geurteilt, findet Ira, aber letztlich sei eine Wahlwiederholung keine Lösung. „Fair wird die doch auch nicht“, schimpft sie und drückt ein Omelette in die Pfanne, bis es zischt, „es ist doch viel zu viel Geld in diesen Wahlkampf geflossen, als dass die jetzt einfach die Wähler entscheiden lassen.“

In Juschtschenkos Mannschaft wimmele es von ehemaligen Ministern und Regierungsmitgliedern, „das ist die alte Macht, die wieder an die Futtertröge will“. Es sei doch sehr eigenartig, dass die sich jetzt als geknechtete Opposition darstellten, sind sich die beiden Frauen einig. Das Ergebnis der nächsten Wahl stehe auf jeden Fall jetzt schon fest – Juschtschenko sei der Sieger. Und wenn nicht, würden die Orangenen wieder auf die Straße gehen, die Medien, die Gerichte, alle hätten sie ja schon auf ihrer Seite. „Mit Demokratisierung hat das nichts zu tun“, findet Wica.

Außerdem, sagt sie, würde das Land nun so oder so gespalten. Janukowitsch werde im Westen nicht akzeptiert, Juschtschenko nicht im Osten. In ihrer Heimatstadt Donezk herrscht jetzt schon Panik. Vor den Geldautomaten haben sich lange Schlangen gebildet, alle versuchten, rechtzeitig vor der großen Krise ihr Geld abzuheben. „Also sind beide Kandidaten ungeeignet“, folgert sie, „es muss jemand ganz anderes antreten, jemand, der beide Hälften des Landes repräsentiert.“

Der Sozialistenführer Oleksandr Moros sei ein guter Kandidat, findet Ira. „Der ist nicht in Skandale verstrickt und hat keine eigenen Interessen“, glaubt die junge Frau. Ihre Freundin Wica, die bald weit weg in Italien sein wird, streckt die Beine von sich. „Moros hat doch keine Chance“, unkt sie. Sie werde ihren Stimmzettel also nicht abgeben, bekräftigt sie mit einem seltsamen Grinsen und schließt: „Wer weiß, vielleicht macht es ja jemand anderes für mich.“

HEIKE HOLDINGHAUSEN