: Ihr aus Paris in Bremen
Trotz des genialen Namens: Radio „Wir von hier“ muss „Energy“ weichen. Der Lizenzvergabe an den Multi gingen umstrittene Strukturveränderungen voraus, ein Opfer gibt es auf jeden Fall: die 80er
Radio Bremen hat es geschafft: Seinem Konkurrenten „Radio wir von hier“ ist die Zielgruppe abhanden gekommen: Die 30- bis 50-Jährigen. Durch geschicktes Altern von „Radio Bremen 4“ bei gleichzeitiger Verjüngung von „Bremen 1“ wurden die Privatfunker derart in die Ätherzange genommen, dass sie Anfang der Woche aufgaben.
Stattdessen hat die hinter „Wir von hier“ stehende „Private Bremer Rundfunk GmbH“ einen Lizenzvertrag mit „Radio Energy“ geschlossen, das auf 14- bis 29-jährige HörerInnen spezialisiert ist.
„Hallo, wir sind neu bei euch im Radio“ tönt es seit Dienstag auf 89,8 beziehungsweise 104,3 MHz (Bremerhaven), und das heißt im Wesentlichen: Die Musik ist „garantiert 80er-frei“ – ein nicht zu unterschätzender kultureller Bruch. Denn vorher galten gerade auch „Die Superhits der Achtziger“ als formatprägend, was nicht zufällig an den ffn erinnert – der niedersächsische Privatsender war unter anderem über die Alfelder Zeitung wesentlich an „Wir von hier“ beteiligt.
„Energy“ wiederum gehört zur börsennotierten Pariser NRJ Group, die in neun europäischen Ländern agiert und allein in Deutschland auf 22 Frequenzen sendet. Und deren Programm, übersetzt nach Bremen, sieht so aus: „Knallwach – die Morningshow bringt Bremens Jugend frisch in den Tag / Energy@work, am Nachmittag und am Abend liefern den Lifestyle, den Bremens junge Hörer lieben / Mit Energy@Night kommen Bremens Party People gut durch die Nacht.“
Zehn Prozent der Sendezeit zwischen sechs und 18 Uhr allerdings müssen nach geltenden rundfunkrechtlichen Vorschriften für Wortbeiträge reserviert sein, um „Nachrichten und politische Berichterstattung“ zu garantieren. Und das könnte für die ehemaligen „Wir von hier“s möglicherweise zum Problem werden. Frühere Mitarbeiter zumindest sprechen von „Kürzungen mit der Holzhammermethode“, der zuletzt fast „die gesamte redaktionelle Belegschaft zum Opfer“ gefallen sei, mit entsprechenden Auswirkungen auf Qualität und Aktualität. Dazu hätten auch 30 prozentige Gehaltskürzungen bei freien Redakteuren gehört. Andere MitarbeiterInnen, die unter dem „Energy“-Label weiterarbeiten, bezeichnen das in einem Brief an den Journalistenverband DJV als „völligen Quatsch“. Sie würden nach wie vor „mit Herzblut und Begeisterung“ arbeiten. Der neue Chef vom Dienst, seit April im Amt, präzisiert: Die „Gehaltskürzungen sind im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen worden.“
Letztendlich zuständig für die Kontrolle des Wortanteils ist Wolfgang Schneider, Direktor der Bremer Landesmedienanstalt. Zwei Wochen lang werde man prüfen, sagt er, und „hart bleiben“. Bei Quotenunterschreitung drohe der Frequenzentzug.
Kein einfacher Vorgang. Interpretationsbedürftig ist, ob dabei auch Anrufe wie der gestrige einer Schülerin aus Elsfleth zählen, die – nach kurzer Schilderung, wie sie am Morgen den Unterricht verschlafen habe – allen sagen will: „Die Achtziger find‘ ich richtig Scheiße – ihr habt mir gefehlt.“ Ist das nicht auch als politisches Statement wertbar? Vielleicht wäre mit einer Obergrenze für den Wortanteil bei Moderatoren/HörerInnen-Dialogen klarer geholfen. Henning Bleyl