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Archiv-Artikel

Bourn-out der Stars

Gespräch mit Hans-Dieter Hermann, Sportpsychologe an der Uni Heidelberg und psychologischer Betreuer des an einem Erschöpfungssyndrom leidenden Hannoveraner Fußballprofis Jan Simak

INTERVIEW HARALD GESTERKAMP

taz: Herr Hermann, Hannovers Jan Simak leidet unter einem Erschöpfungssyndrom, der Münchner Sebastian Deisler hat Depressionen. Ist es ein neues Phänomen, dass Leistungssportler dem Erfolgsdruck nicht gewachsen scheinen?

Hans-Dieter Hermann: Nein, das gab es immer schon. Und es ist auch kein Wunder, weil Leistungsträger in allen Bereichen der Gesellschaft diese Krankheitsbilder haben. Im Sport ist es nicht häufiger als anderswo. Das wird nur nicht immer öffentlich. Wichtig an der aktuellen Diskussion ist, deutlich zu machen, dass diese Krankheiten kein Makel sind.

Sebastian Deisler wurde als ganz junger Spieler von der Boulevardpresse als „Basti Fantasti“ gefeiert und von der Bravo als Teenie-Star auf das Titelbild gehoben. Danach kamen viele sportliche Rückschläge durch Verletzungen. Ist so die Krankheit zu erklären?

Ich kenne Deisler nicht persönlich. Es gibt jedoch einen klaren Hinweis darauf, dass verletzte Sportler für diese Probleme anfälliger sind. Fußballer ziehen ihr Selbstwertgefühl aus dem Sport. Eine Pause durch Verletzungen kann einen negativen psychischen Prozess verstärken.

Andererseits wurde bei Deisler die Depression erst sichtbar, als er sportlich schon wieder auf dem Weg nach oben war. Er konnte wieder spielen und bekam auch gute Kritiken.

Auch das ist erklärbar. Menschen, die sehr stark unter Druck leiden, haben oft Hauptdruckphasen, in denen sie sehr viel leisten und auch Erfolg haben. Ihr Problem beginnt erst, wenn sie sich vorstellen: Jetzt sind die Leistungen so gut, jetzt erwarten die Leute noch mehr. Und dann denken sie: Das schaffe ich nicht. Aber der öffentliche Leistungsdruck ist nun mal Teil des Profisports.

Sportler wie Deisler oder auch der von Ihnen betreute Jan Simak werden rund um die Uhr medizinisch versorgt. Warum wurden die Krankheiten trotzdem so spät erkannt?

In der Sportmedizin wird in der Regel zu wenig zu psychologischen Fragen gearbeitet. Bestenfalls gibt es Internisten, die gelegentlich ein halbes Auge darauf haben können. Aber eigentlich hat das keiner auf der Rechnung, und deshalb müssen die Symptome sehr deutlich sein, bis das erkannt wird. Dazu kommt, dass es ganz unterschiedliche Temperamente gibt. Auch unter den Fußballern befinden sich Melancholiker, die immer etwas in sich gekehrt wirken.

Vielleicht sollten diese dann nicht unbedingt beim FC Bayern München spielen, denn dort wird jeder Trainingstag von den Medien verfolgt und der Erwartungsdruck ist höher als in anderen Vereinen. Wäre Deisler, der als sensibel gilt, bei Hansa Rostock oder beim VfL Bochum besser aufgehoben?

Das ist Spekulation. Es lässt sich ebenso schlüssig begründen, dass ein Spieler, der von allen hochgepusht wird, gerade zu den Bayern gehen sollte. Dort hat er möglicherweise weniger Druck als bei einem Verein, bei dem alles an ihm hängt. Es kann stressmindernd sein, wenn die Verantwortung auf mehreren Schultern liegt.

Ist es für die Heilung hinderlich, dass die Patienten Menschen sind, die sehr im Interesse der Öffentlichkeit stehen?

Extrem – schon allein dadurch, dass das Thema ständig in der Öffentlichkeit ist. Und die Vereine wollen natürlich, dass ihr Spieler wieder aufläuft.

Und wenn er das tut, muss er damit rechnen, von den Gegenspielern und den Zuschauern verspottet zu werden.

Ja, es gibt das Phänomen, den Gegenspieler verbal fertig zu machen, um ihm den Schneid abzukaufen. Ich hoffe, dass beim Comeback von Deisler etwas Menschlichkeit Einzug hält.

Es war auffällig, dass Bayern München – offenbar mit Zustimmung von Deisler – sehr offensiv mit der Erkrankung umgegangen ist. Ist das aus Sicht der Heilung vernünftig?

Ja. Die Bayern-Verantwortlichen haben den Menschen Sebastian Deisler in den Vordergrund gestellt und den behandelnden Arzt, Prof. Florian Holsboer, bei der Pressekonferenz einbezogen. Das war vorbildlich.

Soll man große Fußballtalente schon als Jugendliche psychologisch betreuen?

In den Fußball-Internaten der großen Vereine arbeiten Pädagogen und manchmal auch Psychologen. Die jungen Spieler müssen lernen, mit dem – öffentlichen und vereinsinternen – Druck umzugehen, der auf jeden Fall auf ihnen lasten wird. Das ist inzwischen auch Teil der Talentförderung.

Wird der von ihnen betreute Jan Simak wieder Fußball spielen?

Da bin ich mir sicher. Aber ich kann nicht sagen, wann und wo. Ich vergleiche ihn manchmal mit einem Manager, der unter einem Burn-out-Syndrom leidet. Und diese kehren oft nicht an ihren alten Arbeitsplatz zurück.