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Archiv-Artikel

Gefahr im Verzug

Hamburgs Rechtsmedizinischer Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt droht das Aus. Justizbehörde will die ÄrztInnen nicht länger bezahlen. Ärztekammer und Weißer Ring sehen bundesweit einzigartiges Angebot der Opferhilfe verloren gehen

von Alexander Diehl

Seit 1998 ist die Situation von Gewaltopfern in Hamburg ein wenig besser als im Rest der Republik. Damals rief die „Hamburger Initiative gegen Aggressivität und Gewalt“ eine für die NutzerInnen kostenlose Akutversorgung ins Leben: Neben der medizinischen und psychologischen Betreuung geht es der Rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle seitdem nicht zuletzt um die Möglichkeit, gerichtsrelevant zu dokumentieren, was dem Opfer zugefügt worden ist – auch, wenn dieses zunächst keine Anzeige gegen den Täter erstatten will.

Von Anfang an assoziiert mit der Uni-Klinik Eppendorf und im dortigen Institut für Rechtsmedizin untergebracht, war der Betrieb der Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt zunächst nur durch private Spenden und die ehrenamtliche Mitarbeit der beteiligten MedizinerInnen und PsychologInnen möglich. Erst seit Anfang des Jahres 2003, seit die Einrichtung von der Justizbehörde mitfinanziert wird, können zwei ÄrztInnen bezahlt werden. Um die bis heute bundesweit einzigartige Einrichtung auch weiterhin 24 Stunden geöffnet zu halten, war indes auch danach ehrenamtliches Engagement nötig.

Am Bedarf besteht kein Zweifel: Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehören „die Folgen von Gewalteinwirkungen zu den vier häufigsten Krankheiten unserer Zivilisation“. Von der „Krankheit Gewalt“ sprach gestern auch Klaus Püschel, Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts der Uni Hamburg und seinerzeit Mitbegründer der „Hamburger Initiative“. Mit Püschel trat Dragana Seifert, die Leiterin der Untersuchungsstelle, sowie Hamburgs Ärztekammer-Präsident Michael Reusch und der Landesbeauftragten der Opferorganisation „Weißer Ring“, Wolfgang Sielaff, gestern vor die Presse – sie sehen die Anlaufstelle als akut gefährdet an.

Weil sich der CDU-Senat aus dem Modellprojekt zurückziehen will, ist die Finanzierung nur noch bis April gewährleistet – künftig ist gerade noch Geld für eine halbe Stelle da. Dann „geht das Problem los“, so Püschel gestern: Spätestens in der zweiten Jahreshälfte müsste, falls keine Lösung gefunden wird, der Betrieb eingeschränkt werden.

Initiatorin und Leiterin Seifert betonte, wie sehr das niedrigschwellige Angebot die Stellung des Opfers im Falle von Gerichtsprozessen verbessert habe: Die „sekundäre Viktimisierung“, die erneute Belastung durch Infragestellung der Glaubwürdigkeit des Opfers, könne vermieden werden. Die Prozesse selbst würden so vielfach aufgrund klarer Beweislage abgekürzt.

Hamburgs Justiz- und Innensenatoren so Püschel, betonten gerne die Sinnhaftigkeit und den „einmaligen“ Wert der Untersuchungsstelle – ohne deren Bestand langfristig gewährleistet zu haben. Neben den politisch Zuständigen appellierten Seifert und Püschel auch an weiteres privates Engagement: Gesucht werden Sponsoren. Für die nächsten fünf Jahre würden 1,5 Millionen Euro benötigt, so Seifert: zum Aufrechterhalt des Betriebs, aber auch zur weiteren wissenschaftlichen Erforschung von Gewalt und deren Folgen – und damit zur Vermeidung ihrer beträchtlichen Folgekosten.