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Archiv-Artikel

Das Beweisstück

Das erste Mal lächelt die Bundesanwältin. Wäre das hier wirklich ein Theater, sie hätte begeistert applaudiert

AUS BERLIN MAREKE ADEN

Der vorsitzende Richter sagt: „Friede und die Gnade Gottes seien mit euch.“ Der beisitzende Richter antwortet: „Und mit euch sei der Friede und die Gnade Gottes.“ – „Gelobt sei Gott“, sagt der vorsitzende Richter, und der beisitzende Richter sagt: „Gelobt sei Gott.“

Die beiden Richter sitzen vor dem Berliner Kammergericht, sie verhandeln den Fall Ihsen G., eines mutmaßlichen Al-Qaida-Mitglieds und Schläfers, der mit anderen Anschläge geplant haben soll. Es geht um ein Telefonat, das ein Bekannter von G. mit einem Geistlichen geführt hat und das abgehört wurde. Nach einigem Gezerre mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz wurden die Abschriften der Telefonate freigegeben. Und weil jedes Beweisstück vor Gericht mündlich eingeführt werden muss, verlesen die Richter die Protokolle – mit verteilten Rollen, als ob sie ein Stück aufführten: Der eine spielt den Geistlichen, der andere gibt den Bekannten des Angeklagten, der ebenfalls terroristischer Umtriebe verdächtig ist.

Womöglich wäre ein Theaterkritiker entsetzt über die schauspielerische Leistung. Oder begeistert, dass Vortragsweise und Inhalt so weit auseinander gehen. Denn dafür, dass die arabische Sprache auch in der Übersetzung noch blumig ist, dass der Dialog von einem abscheulichen Verbrechen handelt, dafür sprechen die Richter ziemlich monoton.

Das ist auch insofern verwunderlich, als dieser seltsame Dialog an diesem Mittwoch den Prozess wenden könnte. Bislang hatte die Verteidigung die Oberhand. Das Gericht hatte zu verstehen gegeben, ihm sei die Beweislage zu dünn. Einigermaßen sicher war nur, dass Ihsen G. „vielleicht mal so einiges in die Richtung angedacht hat“, wie seine Rechtsanwältin Margarete von Galen sagt. Aber angeklagt ist ja nicht ein Anschlag in der Fantasie von G., sondern dass er andere Menschen dazu bringen wollte, mit ihm Anschläge zu begehen.

Die Anklägerin Silke Ritzert von der Bundesanwaltschaft hatte alle Mühe, das nachzuweisen: Die V-Leute blieben unkonkret oder hatten eigene Interessen, einer wollte möglichst schnell aus dem Gefängnis. Andere Beweise wie Schaltpläne, das Programm „Im Tiefflug über Deutschland“, Konten, Pässe, unzählige Mobiltelefone und Waffen, die G. besaß, waren zwar verdächtig. Aber es ist ja nicht gesagt, dass er damit versucht hat, eine Terrorgruppe aufzubauen.

Der Prozess zeigt auch das große Dilemma, vor dem Verfassungsschutz und Kriminalämter bei ihrem Versuch stehen, mit dem islamistischen Terrorismus fertig zu werden. Wenn sie zu spät zugreifen, sind bei einem Anschlag vielleicht viele Menschen gestorben. Schlagen sie zu früh zu, bringen sie womöglich jemanden ins Gefängnis, der sich nur Unschönes ausgemalt, vielleicht auch darüber geredet, nach rechtsstaatlichen Standards aber niemals ein Verbrechen begangen hat. Somit könnte das abgehörte Telefonat einen handfesten Beweis abgeben, wenn dadurch wirklich ein Plan Ihsen G.s sichtbar wird.

Das Telefonat. Die Grußfloskeln sind vorbei. Der Bekannte von G. kommt auf die „Fatwa“ zu sprechen, den Ratschlag, den er von dem Leipziger Geistlichen haben möchte. Denn am nächsten Tag soll er bei der Polizei erscheinen und erzählen, was er mit Ihsen G. und dessen Freunden bei einem Treffen im Februar 2003 besprochen hat. Er weiß nicht, was er der Polizei sagen soll. „Falls ein Muslim weiß, dass ein Muslim Krimineller ist, und die Ungläubigen erfahren davon und wollen von den kriminellen Taten wissen, ist es im Islam erlaubt …?“ So liest es der Richter vor. Der andere Richter unterbricht in der Rolle des Imam: „Er ist ein Krimineller? Um was geht es?“ Daraufhin sagt der Bekannte von G.: „Es geht um ein abscheuliches Verbrechen, welches die Muslime, den Islam und die Ungläubigen schädigt.“

Das klingt tatsächlich nach einem Plan. Aber wer sagt, dass Ihsen G. dahinter steckt? Die Richter spielen ihre Rollen weiter. Der Geistliche windet sich. Prinzipiell sei es so: „Wer einen Muslim deckt, den deckt Gott am Tag des Jüngsten Gerichts.“ Und: „Einen Bruder darf man nicht ausliefern.“ Prinzipiell gelte aber auch: „Gott will, dass wir bei einer Aussage sicher sind.“ Dann fragt der Imam, ob die Person wirklich ein Krimineller ist, ob die Aussage dem Verdächtigen wirklich schaden wird. Er unterbricht den Bekannten von Ihsen G. immer wieder. Der Bekannte bejaht alle Nachfragen. Da sagt der Imam, dass die Sache eigentlich nichts für einen Imam sei, ein Scheich müsse da ran, was denn Scheich Salim gesagt habe, will er wissen. Ihm selbst fällt nur eine Parabel ein, in der ein Genießer verbotenen Weins nicht an den Herrscher verraten wird.

Weil kein weiser Scheich je gefragt wurde, bittet der Imam um einige Stunden Bedenkzeit, die die vorlesenden Richter einfach überspringen. Im zweiten Telefonat, kurz vor dem Verhör, fragt er, ob das Verbrechen schon geschehen sei. „Nein“, sagt der Ratsuchende, „das Unrecht ist nicht passiert, denn sie haben ihn vorher festgenommen.“

Ihsen G. wurde am 20. März 2003 festgenommen, einen Anschlag soll er für den Beginn des Irakkriegs geplant haben, den 20. März 2003. Das wissen alle im Gerichtssaal, und deshalb ist es kaum noch möglich, dass nicht Ihsen G. gemeint sein könnte, wie die Verteidigung bisher forsch behauptet hatte.

Das könnte – zusammen mit all den anderen Indizien – als Beweis reichen. Dafür sprechen zumindest die Mienen der Prozessgegner. Das erste Mal seit vielen Prozesstagen sieht man die Bundesanwältin Silke Ritzert lächeln. Wenn der Auftritt der Richter tatsächlich ein Theaterstück wäre, sie würde vermutlich begeistert Szenenapplaus spenden. Die Verteidigerin Margarete von Galen und ihr Kollege wirken dagegen das erste Mal bedröppelt.

Die Richter lesen monoton weiter. Ihr stoisches Spiel wirkt noch wunderlicher, denn ab jetzt handelt es nur davon, wie man die Justiz am besten täuschen kann, und das betrifft die Richter ja eigentlich selbst. Der Imam rät: „Man soll allgemein bleiben, man soll sich nicht erinnern.“ Und: „Sag: Manchmal diskutiert man eben viel.“

Belastend ist das, weil der Mann bei der Polizei all diese Ratschläge tatsächlich befolgt hat. Er hat stets gesagt, dass er sich an nichts erinnern kann. Es stärkt die These der Bundesanwältin, dass die politisch aktiven Muslime, mit denen der Angeklagte die Al-Nur-Moschee in Berlin besuchte, äußerst konspirativ vorgingen. Von den deutschen Behörden und Gerichten halten sie nicht allzu viel.

Nach seinem Ratschlag spricht der Geistliche abrupt von einem muslimischen Jungen, den ein Auto überfuhr. „Es gibt keine Macht stärker als die von Gott“, verliest der Richter, der den Bekannten des Angeklagten spielt, und es klingt tatsächlich ein wenig entsetzt. Der Autofahrer, erklärt der Imam, habe nur ein Jahr auf Bewährung bekommen, keine Haftstrafe, obwohl er getötet habe. So eine Justiz muss man doch nicht Ernst nehmen, klingt durch.

Dazu passt, was die Polizei auf einer Diskette fand, die bei G. beschlagnahmt wurde. Darauf gibt es Ratschläge gegen polizeiliche Vernehmungstaktiken. In den „Sicherheitshinweisen zur Benutzung von Handys“ wird geraten, dass nach jeder Festnahme alle ihre Geräte wegwerfen, die mit dem Eingesperrten gesprochen haben. Eine Datei heißt: „Überlistung von Agenten in Gefängnissen“.

Kurze Zeit später erklärt G., dass die Wärter im Untersuchungsgefängnis an seiner Tür lauschten, als er einmal mit anderen in einer Zelle war. Er habe inzwischen keinen Kontakt zu anderen Häftlingen. „Das habe ich nicht einmal beim tunesischen Militär erlebt“, sagt er. Er wird laut, trotzdem schafft er es, dass sein arabischer Akzent ruhig durch den Saal fließt. Er appelliert an die Menschenrechte. Dass dieser Mann den Rechtsstaat womöglich mit Bomben sprengen wollte, wirkt auf einmal abwegig. Zum Schluss bittet er um neue Schuhe. Er müsse mit seinen Latschen zum Freigang, es sei doch kalt draußen.

Der Richter sagt müde, dass er sich darum kümmern will. Eigentlich hätte er jetzt noch einmal eine Szene aus seinem Stück „Telefonüberwachungsprotokoll“ einwerfen können: „So Gott will, so Gott will“, hätte sich gut gemacht. Aber er sagt nur: „Fortsetzung ist am 14. Dezember.“