Rollenmodell mit B-Seite

Heute vor vierzig Jahren starb Sam Cooke. Die Umstände seines Todes wurden nie restlos geklärt. Fest steht: Er gab der schwarzen Bürgerrechtsbewegung die Hymne

von TOBIAS RAPP

Es war ein erbärmlicher Tod, den Sam Cooke starb, als er am 12. Dezember 1964 auf dem Fußboden der Rezeption eines Stundenhotels im Ghetto von Watts, Los Angeles, verblutete. Bekleidet mit einem Hemd und Socken, ohne Hose und ohne seinen linken Schuh. Sein roter Ferrari stand noch vor der Tür, neben der ein Zeichen leuchtete, das mit drei Dollar den Tarif angab, zu dem man Zimmer mieten konnte.

Der anrückenden Polizei gab eine Frau namens Lisa Boyer zu Protokoll, Cooke habe sie mit in ein Zimmer genommen und dort versucht, sie zu vergewaltigen, darauf sei sie mit Cookes Anziehsachen geflohen, als er ins Badezimmer ging. Die Rezeptionsdame Bertha Franklin sagte, ein halbnackter schwarzer Mann sei auf sie zugestürmt, habe sie ebenfalls bedrängt, worauf sie einen Revolver gezogen und ihm in die Brust geschossen habe. Das sei allerdings nicht genug gewesen, er habe noch immer nicht von ihr abgelassen, deshalb habe sie ihn auch noch mit einem Knüppel verprügelt.

Die Sängerin Etta James, die zu jener Zeit drogensüchtig in der gleichen Straße wohnte und aus Angst vor Razzien ständig Polizeifunk hörte, erzählte später, sie sei sofort zum Tatort geeilt und habe noch Cookes Leiche gesehen, die weit schlimmer zugerichtet gewesen sei, als offiziell zugegeben wurde.

Sam Cooke war 33 Jahre alt und der größte Star des schwarzen Entertainments. Von heute aus ist es nur noch schwer vorstellbar, dass der Mann, der neben Elvis Presley der erfolgreichste Künstler seines Labels RCA war und dem Cassius Clay nach seinem sensationellen Sieg gegen Sonny Liston seinen ersten Weltmeistertitel gewidmet hatte, im Dezember 1964 von der Polizei einfach als ein weiterer dead negro abgebucht wurde, den das Ghetto von Watts in die Leichenhalle gespült hatte. Doch so war es.

Schon bald tauchten Theorien auf, was wirklich passiert sei in jener Samstagnacht. Steckte Allen Klein hinter dem Tod des Sängers? Ein New Yorker Musikanwalt, der Cooke einige Jahre vorher geholfen hatte, aus einem Knebelvertrag zu entkommen, um seine eigene Plattenfirma und seinen eigenen Verlag aufzubauen. Während der Prozesse, die Klein mit Cookes Familie um die Rechte am Nachlass führte, stellte sich heraus, dass diese Firmen fast ausschließlich in Kleins Händen befanden. Ein Umstand, der auch Cooke einige Wochen vor seinem Tod aufgefallen war, weshalb er sich um einen Anwalt bemüht hatte, der die Trennung von Klein in die Wege leiten sollte.

Oder war es schlicht ein aus dem Ruder gelaufener Raub? Lisa Boyer ging auf den Strich und war polizeibekannt dafür, Männer auszurauben, mit denen sie aufs Zimmer ging. Bertha Franklin, die Frau vom Empfang, war ebenfalls eine ehemalige Prostituierte und mit Boyer gut bekannt. Cooke hatte fünftausend Dollar dabei gehabt, als er Boyer in einer nahe gelegenen Bar aufgabelte; er wollte Weihnachtsgeschenke kaufen. Als die Polizei kam, war das Geld verschwunden. Hatte Cooke bemerkt, dass sein Geld fehlte und war Boyer nachgelaufen? Hatte er Verdacht geschöpft, Franklin stecke mit seiner Kneipenbekanntschaft unter einer Decke, und sie deshalb angegriffen?

Die Wahrheit ist nie ans Tageslicht gekommen. Doch was auch immer geschehen sein mag – das Erschütternde an Cookes Tod war, das er eine Unterseite sichtbar machte, die der Musiker zu Lebzeiten immer auszublenden gewusst hatte. Denn Sam Cooke war eben nicht nur einer der größten Stars seiner Zeit. Er war auch einer der ersten schwarzen Künstler, der die ökonomische Kontrolle über sein künstlerisches Tun zu erlangen versuchte. Anders aber als etwa James Brown, der andere große Star des afroamerikanischen Showgeschäfts jener Zeit, versuchte sich Cooke am Crossover zum weißen Publikum. Seine Vorstellung von Erfolg war es, einmal in Las Vegas auftreten zu können, ohne damit sein schwarzes Kernpublikum zu vernachlässigen. Ein ähnlicher Karriereschritt war ihm schon einmal gelungen: vom Gospel- zum Soulsänger.

Der Übergang vom Kirchenmusiker zum Popstar war ihm auch deshalb so glaubwürdig gelungen, weil er die Mütter seiner unehelichen Kinder recht einfach mit Geld abzufinden wusste und er seine Liebe zur Straße nie zum Teil seines Images werden ließ. Die Umstände seines Todes erschreckten auch deshalb so viele seine Fans, weil sie so gar nicht passten zum Image des immer korrekten Saubermanns, des Musterbeispiels, wie man es in einer weißen Welt zu etwas bringen kann, ohne an Integrität zu verlieren.

Sam Cook kam am 31. Januar 1931 in Clarksdale, Mississippi, zur Welt – damals noch ohne das e, das er erst zu Beginn seiner Popkarriere seinem Nachnamen anfügte, um ihn „more classy“ erscheinen zu lassen. Sein Vater war ein Tagelöhner auf den Baumwollfeldern – ein Schicksal, dem er aber zu entkommen suchte, indem er Prediger wurde. Er ging nach Chicago, der damaligen Hauptstadt des schwarzen Amerika und holte seine Familie nach, als Sam vier Jahre alt war. Bald sangen die Geschwister Cook in der Kirche ihres Vaters, der bald noch weitere Kirchen übernahm und von Stadt zu Stadt reiste, um seine Schäfchen betreuen zu können. Ein einträgliches Geschäft und eine der wenigen Möglichkeiten als Afroamerikaner ohne Universitätsausbildung gutes Geld zu verdienen.

Sam war ein begabter Sänger, der noch auf der Schule seine eigene Gospelgruppe gründete und schon als Teenager ein kleiner Star wurde. Seine große Chance kam 1950, als der Leadsänger der Soul Stirrers ausstieg, des damals erfolgreichsten Gospelquartetts, und Sam Cook an seine Stelle trat. Mit Anfang zwanzig war er bereits ein großer Star. Tatsächlich besteht Jerry Wexler, der legendäre Chef des Atlantic Labels bis heute auf seinem Urteil, Cooke sei der größte Sänger der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und zwar allein auf Basis seiner frühen Gospelkarriere.

Gospelgruppen machten ihr Geld mit Liveauftritten. Sie spielten 250 Tage im Jahr und reisten dafür kreuz und quer durch die USA. Zwar nahmen sie auch Schallplatten auf, aber das diente eher der Werbung. Die Labels, die Gospel vertrieben, gehörten Weißen, die alle Rechte an den Aufnahmen behielten und die Künstler mit einem Handgeld abspeisten.

Mitte der Fünfziger spürte Cook, dass sich auf dem entstehenden Popmarkt mehr Geld machen ließ, und nachdem herauskam, dass er unter Pseudonym eine Popplatte eingespielt hatte, trennten sich die Soul Stirrers von ihm. Als sich sein altes Gospellabel weigerte, Popaufnahmen mit ihm herauszubringen, klagte er sich aus dem Vertrag und unterschrieb bei einem anderen Label. Schon seine erste Single „You Send Me“ wurde einer der größten Hits der Fünfziger; Stücke wie „What A Wonderful World“ oder „Only Sixteen“ folgten.

Doch Cooke wollte mehr. Er hatte gesehen, wo in der Musikbranche das Geld hängen blieb: bei den Plattenfirmen und den Verlagen, die die Copyrights an den Songs hielten. Wahrscheinlich konnte sich nur ein Superstar wie Cooke den unerhörten Schritt erlauben, sich als erster schwarzer Künstler in die unternehmerische Selbstständigkeit zu begeben: 1959 entschied er sich, fortan zweigleisig zu fahren. Mit SAR begründete er seine eigene Firma, auf der er die Platten seiner alten Weggenossen von den Soul Stirrers und einen hoffnungsvollen Newcomer namens Bobby Womack herausbrachte. Mit dem Verlag Kags begann er, auch die Rechte an dieser Musik zu kontrollieren. Gleichzeitig unterschrieb er für seine eigene Musik bei RCA, einer der größten Plattenfirmen seiner Zeit.

Auch wenn RCA ihm ständig in seine Produktionen hineinregierte und viele seiner Stücke unter zu viel Streicherwatte erstickte, gelang Cooke mit einem Stück wie „Chain Gang“ etwas Besonderes: eine soziale Botschaft mit seiner gospelgeprägten Popsensibilität zu verbinden. Ein Weg, auf dem ihm viele folgen sollten, allen voran Curtis Mayfield.

Tatsächlich behandelte ihn RCA auch nicht besser als die Kleinlabels, von denen sich Cooke gelöst hatte. Gelder wurden zurückgehalten, und wenn er nachfragte, wurde Cooke vertröstet.

So ging er gern auf ein Angebot des Anwalts Allen Klein ein, eine Firma zu gründen, die den gesamten Zahlungsverkehr mit RCA regeln sollte. Klein war ein Anwalt, der sich darauf spezialisiert hatte, Plattenfirmen im Namen betrogener Künstler auf die Auszahlung zurückgehaltener Tantiemen zu verklagen. Tatsächlich schaffte er es, den Major dazu zu bringen, mehrere hunderttausend Dollar an ausstehenden Tantiemen und großzügigen Vorschüssen zu zahlen.

Die Firma, so stellte sich später heraus, gehörte allerdings fast ausschließlich Klein (mit dem gleichen Trick gelangte er später für einige Jahre in den Besitz der Rechte an dem Namen der Rolling Stones). Doch das Foto, das Cooke 1962 zeigte, wie er gemeinsam mit den mächtigsten Männern der Musikindustrie seinen überarbeiteten Vertrag unterzeichnete, signalisierte, was sein größtes Stück zwei Jahre später in Musik fassen sollte: „A Change Is Gonna Come“.

Tatsächlich ist in „A Change Is Gonna Come“ das ganze künstlerische Drama Sam Cookes eingekapselt. Monatelang hielt er die Veröffentlichung des Stücks zurück, weil ihm die Anfangszeilen „I was born by the river / in a little tent / and just like the river I’ve been running ever since“ zu authentisch, zu persönlich erschienen. Cooke war mit der Vorstellung groß geworden, der logische Fluchtpunkt einer erfolgreichen Karriere im Showgeschäft befinde sich in Klubs wie dem Copacabana oder in den Casinos von Las Vegas. Der Gedanke, ein weißes Publikum könne sich mit dezidiert schwarzen Themen anfreunden, erschien ihm zu riskant.

Nach all seinen Popsongs war „A Change Is Gonna Come“ auf den ersten Blick eine Rückkehr zum Gospel. Und tatsächlich ist die ganze Metaphorik des Stücks schwer durchtränkt von der Rhetorik der schwarzen Kirche: vom Leben, das einem Fluss ähnelt, über die Stimme, die Cooke aufträgt, er solle sein Leben nicht vertändeln und herumhängen, bis zum Schmerz, den es bedeutet, sein Schicksal schultern zu müssen.

Was das Stück jedoch zu einer der größten Hymnen der Bürgerrechtsbewegung machte, waren die Momente, die über den Gospel hinausgingen: inhaltlich wie musikalisch. Nachdem sich Cooke jahrelang Scharmützel mit Hugo Perreti und Luigi Creatore geliefert hatte, seinen beiden von RCA gestellten Arrangeuren, sind es zum einen die Streicher- und Blechbläserarrangements des Stücks, die die Gospelharmonien aus der Kirche hinaus auf den Broadway bugsieren. Zum anderen aber gibt Cooke der Gospelrhetorik einen kleinen, aber entscheidenden Dreh: Verlegt der Gospel die Erlösung meist in die ferne Zukunft des jüngsten Tags, so ist sich Cooke sicher, die Veränderungen stünden unmittelbar bevor: „It’s been a long time coming / But I know a change is gonna come“. Ganz ähnlich wie der Soul zuvor schon die Liebe zu Gott auf den Boden geholt hatte, auf dem Frauenbeine wandeln, säkularisierte Cooke nun auch die Politik des Gospel.

„A Change Is Gonna Come“ erschien vier Wochen nach Cookes Tod als B-Seite seiner letzten Single und wurde eine der größten Hymnen der Bürgerrechtsbewegung.

TOBIAS RAPP ist Musikredakteur der taz