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Archiv-Artikel

Verschenktes Ich

Ein Hamburg-Wochenende mit den Eltern, eine gemeinsame Radtour mit Freunden – sich selbst zu verschenken heißt, sich von einem wertvollen und knappen Gut zu trennen: der Freizeit

von Jennifer Neufend

Kein Buch, keine CD, kein Parfum, kein Schal – nein, diemal soll es ein besonderes Geschenk sein. Eins, das von Herzen kommt und sicherlich gefällt. „Ich verschenke mich selbst!“ – das heißt, ich bereite Verwandten oder Freunden eine Freude, indem ich Zeit mit ihnen verbringe, etwas Besonderes mit ihnen unternehme.

Das darf durchaus Überwindung kosten. Der Dombesuch mit ausgiebiger Achterbahnfahrt etwa. Da hatte man sich der kleinen Schwester bisher immer verweigert, doch die fährt nun mal gern, aber ungern allein. Oder der Probetag im Fitnessstudio, den die allerbeste Freundin zwar seit Jahren plant, aber sich alleine nicht traut.

Zeit, so heißt es, sei so viel wert wie Geld – mindestens – und genauso knapp. Horst Opaschowski vom Freizeit-Forschungsinstitut in Hamburg, verkündete in diesem Jahr das Ende des Jahrhunderts der Freizeit: „Arbeitnehmer klagen zunehmend über Zeitnot-Probleme, weil Arbeiten zu ungewöhnlichen Zeiten die private und familiäre Planung erheblich erschweren.“ Besonders Samstags- und Sonntagsarbeit sowie Schicht- und Nachtarbeit führten zu Zeitproblemen. Auch Arbeitszeitverlängerungen und der Trend zur 40-Stunden-Woche raubten den Familien wertvolle freie Zeit.

Die zu verschenken bedeutet also, von knappem Gut etwas abzugeben. Statt dem aufwendig illustrierten Hamburg-Buch bekommen die Eltern, die immer noch in Süddeutschland leben, deshalb ein Hamburg-Wochenende: Eine kombinierte Bus-Bahn-Schiffsreise durch die Hansestadt, garniert mit einem Cafébesuch an der Alster und abendlichem Fischessen am Hafen. Und das befreundete sportliche Paar wird mit einer perfekt durchgeplanten gemeinsamen Radtour entlang der Elbe überrascht, abgerundet durch ein stilvoll-gemütliches Abendessen im Landgasthof.

Um den Eltern den geplanten Tag schon mal schmackhaft zu machen, finden sie – das Computer-Graphikprogramm macht‘s möglich – einen umfänglichen Flyer auf ihrem Gabentisch, mit Hamburg-Stadtplan, Fotos und historischen Informationen. Das Freundespaar kann sich, in Vorfreude aufs Frühjahr, schon mal in den ausführlichen Routenplaner einlesen und Interessantes über die Elbe und ihre Anrainerstädtchen erfahren.

Bei Letzterem allerdings wird auch deutlich, wo der Haken beim Sich-selbst-Verschenken liegen könnte. Was, wenn die so Bedachten viel sportlicher sind als man selbst und folglich mit zunehmend gemäßigtem Vergnügen auf das ständig hinterherhechelnde Schlusslicht warten müssen? Und ist die nette, aber einsame Nachbarin, die immer so zuverlässig die Blumen gießt, wirklich dankbar über den Gutschein zum gemeinsamen Saunabesuch?

Gerade Geschenke, die Zeit und Nähe beinhalten, erfordern Fingerspitzengefühl, sagt die Hamburger Diplom-Psychologin Prof. Petra Stahl. „Eine Frage von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit, was zum andern passt.“ Um eventuelle Grenzüberschreitungen zu vermeiden, sei es im Zweifelsfall besser, den Beschenkten mit einzubeziehen. „Dann ist zwar die Überraschung weg, aber die Freude auch aufrichtig.“