steffen grimberg : Quoten mit Toten
Kardinal Lehmann hat Recht: Das TV-Weihnachtsprogramm wimmelt von Leichen – von denen im Keller mancher Privatsenderketten ganz zu schweigen
„Carrie 2 – Die Rache“ (ProSieben), „Stirb langsam“ (Sat.1) oder „Superstar weltweit“ (RTL): Dies ist nur eine unvollständige Auswahl am 1. Weihnachtstag, aber angesichts von so viel Gewalt, Action und Horror bringt der Boykott-Aufruf ihrem obersten teutschen Hirten, Karl Kardinal Lehmann, auf dem „Gute Taten, die nichts kosten“-Konto ein paar Pünktchen mehr ein. Deshalb fordert die taz hiermit ebenfalls zum TV-Verzicht auf: „Weihnachten auf Gut Aiderbichl“ (ARD), „Weihnachten mit Marianne und Michael“ (ZDF), „Das Weihnachtsfest der Volksmusik“ (ARD), „Rosamunde Pilcher: Wintersonne“ – einigen Verantwortlichen scheint es wirklich nur noch um die Quote zu gehen.
Umso schmerzlicher wird uns bewusst, was es bedeutet, wenn eines der wenigen anspruchsvollen Medienmagazine des deutschen Fernsehens schnöde pausiert. Nein, nicht von „Zapp“ ist hier die Rede.
Es geht natürlich wieder einmal um Herrn Schmidt. Wann bitte war Medienkritik jemals zuvor so unerbittlich, gradlinig und vorurteilsfrei, und das auch noch begleitet von „Helmut Zerlett und seine Band“? Als der Prophet Harald Keller – dieser Gedanke muss hier einfach noch mal wiederholt werden – anno 1995 schrieb: „Wenn Harald Schmidt in seiner eigenen Sendung bei Sat.1 Leo Kirch Prügel anzudrohen wagt – dann haben wir einen deutschen Letterman. Vorher nicht“, da konnte doch niemand ahnen, dass der Mann ausgerechnet die taz liest. Aber dann folgte wirklich dieses schonungslose Infragestellen aller Sitten und Gebräuche des kleinen Bergvolks, dass sich in Unterföhring sein bescheidenes TV-Familchen zusammengeklaubt hatte. Das Auswendiglernen der neuen Aufsichtsräte der ProSiebenSat.1 AG zum Beispiel, lange vor dem selbst gewählten Aus (von Schmidt, nicht von Ex-Sat.1-Chef Hoffmann). Wer erinnert sich nicht seitdem an Bain Capital Partners, Hellmann & Friedman oder Seth Lawry von Thomas Lee Partners. Dass alle diese Herren heute Abend in der letzten, wirklich letzten „Harald Schmidt Show“ auftreten werden, ist allerdings Kantinengewäsch. Heute kommt Kardinal Lehmann. Oder war’s am Ende doch Sandra Maischberger?