: Zeitungs Lust und Nutz. 10 Thesen zum alten und neuen Leitmedium
Von Susanne Fengler
Was wir über unsere Gesellschaft wissen, wissen wir durch die Massenmedien, schrieb der berühmte Soziologe Niklas Luhmann in einem seiner letzten Werke. Angewandt auf die Kommunikations- und Medienwissenschaft müssten wir den Satz ein wenig umformulieren – und bekennen: Was wir über die Massenmedien wissen, wissen wir durch taz, FAZ & Co. Denn ein ganz erheblicher Anteil an empirischen Studien über Medieninhalte und Medienwirkungen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hierzulande vorgelegt wurden, stützt sich auf die Berichterstattung der überregionalen Tageszeitungen: Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau. Hinzu kommt häufig die taz. Und weil diese „Big Five“ der Presselandschaft zugleich das politische Spektrum der bundesrepublikanischen Stimmungen abdecken, heißt es wieder und wieder in den Forschungsberichten: „Für die vorliegende Untersuchung wurde die Berichterstattung der Leitmedien Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Welt, Frankfurter Rundschau und tageszeitung im Zeitraum … vollständig erhoben …“ Oder: „Für die Analyse der Berichterstattung wurden die folgenden überregionalen Qualitätszeitungen ausgewertet …“ Und so weiter. Daher an dieser Stelle die erste von zehn Thesen:
Erlesenes erhalten – weil ansonsten über 700 Kommunikationswissen-schaftler alt aussehen!
Ohne Zeitungen, die sie unter die Lupe nehmen könnten, säßen die mehr als 700 Medien- und Kommunikationswissenschaftler im deutschsprachigen Raum, die in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft registriert sind, auf dem Trockenen. Zugegeben – natürlich kann man auch Radio- und Fernsehsendungen untersuchen, und damit kein falscher Eindruck entsteht: Es gibt selbstredend eine lebhafte Forschung über die Rundfunk- und Onlineberichterstattung im Lande! Aber – von der oft facettenreicheren Berichterstattung einmal ganz abgesehen – um wie vieles besser sind doch Zeitungsberichte recherchier-, archivier- und codierbar!
Aus der eigennützigen Perspektive der Kommunikationswissenschaft ließe sich also gleich zu Anfang festhalten: Es besteht ein dringendes Interesse daran, Erlesenes zu erhalten – Papier, das in Archiven geduldig auf seinen Einsatz wartet. Denn wer weiß heute schon, ob nicht künftige Forschergenerationen einmal untersuchen wollen, wie die Leitmedien Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Welt usw. in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts über Katrin Göring-Eckhardt berichteten, die 2014 erste Kanzlerin und zugleich Regierungschefin der ersten grün-schwarzen Koalition in der Bundesrepublik Deutschland wurde? Und wer möchte sich bei der Suche nach einer empirischen Antwort auf diese Frage schon auf zickige VHS-Kassetten verlassen, die der Standard-Videorecorder an deutschen Universitäten 2015 vermutlich entrüstet wieder ausspuckt – oder, schlimmer noch, auf CD-ROMs, die dem hoffnungsfrohen Forscher 2020 wegen Materialermüdung nur noch Datensalat servieren?
Vielleicht rührt die große Zuneigung der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zu den Zeitungen im Übrigen auch daher, dass die Kommunikationswissenschaft sich aus der „Zeitungskunde“ heraus entwickelt hat – so hieß das erste akademische Institut seiner Art, das 1916 an der Universität Leipzig entstand. Und auch einer der allerersten „kommunikationswissenschaftlichen“ Titel überhaupt führt die geliebten Blätter gleich in der Überschrift: Kaspar Stielers „Zeitungs Lust und Nutz“ von 1695. Zu diesem Zeitpunkt gab es übrigens bereits seit neunzig Jahren Zeitungen, 2005 steht der 400. Geburtstag der Zeitung an. Happy Birthday, altes Haus!
Was für die Wissenschaft gilt, lässt sich aber auch auf die Politik anwenden. Daher die zweite These:
Erlesenes erhalten – damit im Wahlkampf weiterhin schmutzige Wäsche gewaschen werden kann!
TV und Radio sind flüchtige Medien, „versenden sich“, wie es in Fernsehsprech so schön heißt. Was hingegen in den Zeitungen steht, bleibt mitunter wie Pech an einem Politiker kleben. Denn auch die Helfershelfer der Parteispitzen durchforsten meist Zeitungs- und seltener Video- oder Audioarchive, um Munition für den Kampf mit dem politischen Gegner zu gewinnen. Froh konnte die SPD-Kampfbroschüre „Stoibers Welt“ daher im Wahljahr 2002 nach gründlicher Recherche im Archiv der Welt vermelden, dass der „Stoiber, der Polemiker“, sich 1989 gegen eine „multikulturelle Gesellschaft“ ausgesprochen hatte. Und auch die CDU wiederum hielt Schröder natürlich unter Bezug auf erlesene Zitate vor, seine Versprechen ans Wahlvolk gebrochen zu haben. Die Wortblasen, in Talkshows in die Welt gesetzt, hingegen – verweht, dahin!
Überhaupt, die Politik und das zu Lesende! Welchen Spitzenpolitiker erreichen die Zeitungen eigentlich noch im ursprünglichen, knittrigen, unhandlich-übergroßen Format und nicht sterilisiert und homogenisiert – in Form der Presseschau? Gute Geister haben die Presse des Tages hierfür zu früher Morgenstunde seziert, haben einzelne für die Partei oder das Ministerium oder Kanzleramt relevante Artikel identifiziert, selektiert, auf Blankopapier aufgeklebt und dann wiederum hektografiert. Peinliches kann der hausinternen Zensur zum Opfer fallen; es ist beispielsweise zu bezweifeln, ob Scharpings Pool-Fotos jemals den Weg in die Presseschau des Verteidigungsministeriums fanden. Schon die Presseschau, die dem Entscheider doch einen Spiegel der (Medien-)Wirklichkeit liefern sollte, bietet wohl nicht selten ein geschöntes Bild der Realität. Der Kontext lässt sich jedoch nur von dem erlesen, der bereit ist, sich die Finger an Druckerschwärze schmutzig zu machen. Ist so gesehen am Ende die Erfindung der Presseschau mitschuldig an der von den Bürgern immer wieder beklagten Realitätsferne der bundesdeutschen politischen Klasse? Sollten Presseschauen per Volksentscheid abgeschafft werden und sich alle Politiker komplette Zeitungen erlesen müssen, inklusive des Kaninchenzüchtervereins?
Kommen wir zur dritten These, und darin kommen nun auch die soeben erwähnten Bürger vor. In der Demokratie hat jeder von ihnen eine Stimme, und jede Stimme ist in der Wahlurne gleich viel „wert“. Auch jedes Medium hat in der Demokratie eine Stimme – aber nur wenigen wird zugehört, während viele andere in der Kakofonie der „Mediengesellschaft“ sang- und klanglos untergehen. Daher gilt drittens:
Erlesenes erhalten – weil die Zeitungen dem Fernsehen sagen, wo’s langgeht!
In der Kommunikationswissenschaft befassen sich Forscher unter dem Stichwort „Prestigemedien“ oder auch „Meinungsführermedien“ mit der Frage, welche Zeitungen, Zeitschriften, Sendungen und Online-Angebote aus welchem Grund einen besonders hohen Einfluss auf die „Entscheider“ unseres Landes haben – und damit sind nicht zuletzt auch die Journalisten, die den öffentlichen Diskurs wesentlich mitgestalten, gemeint. Die gute Nachricht: Auch wenn das Fernsehen seit nunmehr einigen Jahrzehnten omnipräsentes „Leitmedium“ ist, konnten sich insbesondere die überregionalen Tageszeitungen ihren hohen Einfluss auf die öffentliche Agenda bewahren: Weil eben sie es häufig sind, die Themen recherchieren, Debatten initiieren und Meinung machen. Viele Fernsehjournalisten orientieren sich in ihrer Berichterstattung stark an der „Leitmelodie“, die die einflussreichen Zeitungen vorgeben. Und so erreichen die Zeitungen auch in einer Gesellschaft, die sich angeblich vor dem Fernsehen zu Tode amüsiert, doch noch – wenngleich auf Umwegen – das ganz breite Publikum. Womit wir bereits bei der vierten These wären:
Erlesenes erhalten – weil auch Fernsehjournalisten finden, dass Zeitungen die besseren Informationsquellen sind!
In Deutschland gibt es rund 50.000 Journalisten – eine ganze Armada also von fest angestellten und freiberuflich tätigen Spürhunden, Edelfedern und redaktionellen Angestellten, die Tag für Tag „content“ für ihre Leser, Hörer und Zuschauer produzieren. Hier die Medienmacher, dort die Mediennutzer: Carsten Eric Reinemann von der Universität Mainz hat vor einiger Zeit den Spieß einmal umgedreht und in einer repräsentativen Studie Journalisten befragt, welche Medien sie eigentlich wie lange und zu welchem Zweck in ihrem beruflichen Alltag nutzen. An der Studie nahmen 284 deutsche Politikredakteure teil. Ergebnis: Von den mehr als 4 _ Stunden pro Tag, die Journalisten jeden Tag mit anderen Medien verbringen, entfallen knapp 1 _ Stunden auf die Zeitungslektüre. Damit ist die Zeitung bei den Informationsprofis unangefochten Medium Nummer eins.
Was sie lesen? Für 73 Prozent der Journalisten gehört die Süddeutsche zur Pflichtlektüre, je 59 Prozent lesen FAZ und Bild, 41 Prozent die Welt, 26 Prozent die Frankfurter Rundschau und 23 Prozent die taz. Sechster Platz also im überregionalen Ranking – fragt man die Journalisten allerdings danach, welches Medium regelmäßig eine neue oder ungewohnte Ansicht vertritt und sich damit deutlich vom Mainstream und altbekannten Rechts-links-Schema der Medien abhebt, steht die taz ganz oben auf dem Treppchen: Zwei Drittel der Politikjournalisten – so viele wie bei keinem anderen Medium – attestieren der taz, die „Meinungsavantgarde im deutschen Mediensystem“ zu sein. Es gilt also unbedingt, das von Ihnen in diesem Moment gelesene Blatt zu erhalten, weil wir in Deutschland zwischen all den in der Medienlandschaft umhergockelnden Falken und Tauben ganz dringend einen Paradiesvogel brauchen, der die Weltläufe gelegentlich im Überflug betrachtet.
Erlesenes erhalten – weil’s (fast) jeder tut, aber zu wenig darüber gesprochen wird!
Ja: Es gibt TV-Camps, in denen Prominente Spinnen schlucken. Es gibt TV-Container und TV-Lager, in denen sich verlassene Männer versammeln. Die ganze Nation wird zeitweilig von Fragen bewegt wie der, ob Anke Engelke mit ihrer TV-Show weitermachen soll oder nicht und ob er, der einzig, wahre, der große, der allmächtige Harald „Dirty Harry“ Schmidt der Mattscheibe wieder erscheinen wird. Aber selbst Gerhard Schröder ahnte dereinst, dass er zum Regieren wohl „Bild, BamS und Glotze“ brauchen würde, in der genannten Reihenfolge. Über das Fernsehen und seine Abgründe wird viel geredet; dabei wird gelegentlich vergessen, dass Deutschland immer noch ein Zeitungsland ist. 50 Millionen Deutsche lesen Tag für Tag Zeitung, im Schnitt eine halbe Stunde lang. Mit rund 350 Titeln besitzt Deutschland den vielfältigsten Tageszeitungsmarkt. An die 16 Millionen druckfrische Zeitungsexemplare erwarten jeden Morgen verschlafene Abonnenten, rund weitere 5 Millionen gehen im Straßenverkauf über den Ladentisch. Bei uns gibt es zudem die herrliche Institution des Pressegrosso, die dafür sorgt, dass wir am Hauptbahnhof noch am Tag ihres Erscheinens sogar den Schwarzwälder Boten, die Dortmunder Ruhr-Nachrichten, die Gütersloher Glocke, kurz: all die Zeitungen aus unseren Heimatkäffern bekommen und durch sie im Fall akuten Heimwehs wieder mal wohlvertrauten Stallgeruch atmen können!
Vielleicht muss man sich diese (trotz Krise) paradiesischen Verhältnisse gelegentlich vor Augen führen, wenn gerade mal wieder gejammert wird. Sechs Flugstunden von uns entfernt, in Tadschikistan, weiß überhaupt niemand, was eine Tageszeitung ist – weil es in Afghanistans nördlichem Nachbarland schlicht nicht möglich ist, auf den maroden Straßen mit noch maroderen Fahrzeugen Tag für Tag einen funktionierenden Vertrieb auf die Beine zu stellen. Zeitungen erscheinen dort in der Regel nur einmal pro Woche und sind so teuer, dass oft ein ganzes Dorf zusammenlegen muss, um gemeinsam ein Exemplar anzuschaffen. Stellen Sie sich mal vor, Sie müssten sich mit Ihrer ganzen Straße eine Zeitung teilen!
Erlesenes erhalten – weil clevere Newspapermen uns die Norm der Unparteilichkeit beschert haben!
Bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die meisten Zeitungen diesseits wie jenseits des Atlantiks Parteiorgane oder zumindest stark parteilich orientiert – und die Journalisten sangen das Lied des ihnen nahe stehenden Politikers. Die Vorstellung eines Journalismus, der sich „der Allgemeinheit“ verpflichtet fühlt, entstand erst beim Vormarsch der Massenpresse, die auf größtmöglichen Absatz ihrer Medienprodukte bei breitesten Bevölkerungsgruppen zielte – und sich darum kein politisches Bekenntnis mehr leisten konnte.
Kommunikationswissenschaftler wie Philomen Schönhagen, Professorin an der Universität Fribourg, haben inzwischen nachgewiesen, dass im 19. Jahrhundert letztlich ökonomische Erwägungen den Wandel der Medien von Parteigängern zu „unparteilichen Beobachtern“ bewirkten: Um sich einen größeren Abnehmerkreis zu erschließen und dadurch höhere Anzeigeneinnahmen zu erzielen, verzichteten im Zeitalter der aufkommenden Massenpresse mehr und mehr Zeitungen auf die Identifikation mit einer bestimmten politischen Richtung – und konnten so als „politisch neutrale“ Medien potenziell alle Mediennutzer ansprechen. Dass es in unseren westlichen Demokratien die Norm eines unparteilichen Journalismus gibt, haben wir also letztendlich raffgierigen Zeitungsverlegern zu verdanken. Ökonomisch ausgedrückt: ein Hoch auf solch positive externe Effekte!
Erlesenes erhalten – weil Zeitungsmenschen vor dem Drucken denken!
Mal ehrlich – wer hat’s noch nie gedacht: Diese Fernsehfritzen! Selbstredend gehören auch Radio- und Fernsehmacher zur Spezies der Journalisten, und es gibt viele, sehr viele exzellente Exemplare dieser Sorte. Aber ist es nicht auch so, dass mehr Fernsehleute sich wichtig zu nehmen scheinen als ihre Kollegen in anderen Mediengattungen? Nur ein Bauchgefühl, gewiss. Wissenschaftlich lässt sich die These untermauern, dass Print- und Rundfunkjournalisten teilweise unterschiedliche Einstellungen zu ihrem Beruf haben. Die derzeit aktuellste Studie über Selbstverständnis und Berufsrealität von Journalisten stammt aus den USA. Dort hat das Pew Research Center for the People and the Press in einer repräsentativen Umfrage knapp 500 amerikanische Journalisten befragt, wie sie über die Probleme und Chancen ihrer Zunft denken. Der Studie zufolge machten sich Zeitungs- und Zeitschriftenjournalisten deutlich häufiger Sorgen um die Glaubwürdigkeit der Medien – für ihre Fernseh- und Radiokollegen war „credibility“ hingegen kein vergleichbar großes Problem, sie verwiesen stattdessen auf den auf ihnen lastenden Druck, Quote und damit Kasse zu machen. Was leistet der (amerikanische) Journalismus? Die „schreibende Zunft“ verwies auf die Tiefe und Qualität der Berichterstattung – die Radio- und Fernsehmacher auf die Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung. Vielleicht kein Wunder, dass am Ende dann alle befragten Journalisten – einschließlich der Fernseh- und Radiokollegen – den Zeitungen die besten Noten für die Berichterstattung gaben. „Speed kills“: Was der legendäre Spindoctor James Carville einst als Schlachtruf für Bill Clintons ersten Wahlkampf ausgab, gilt mitunter auch – allerdings umgekehrt – für die „vierte Gewalt“.
Erlesenes erhalten – weil im Leben nur der Tod umsonst ist!
Vor noch nicht allzu langer Zeit galt das Zeitungsgeschäft einmal als lukrativstes legales Gewerbe neben dem Betrieb von Spielautomaten. Vorbei – Gratisblätter und das Internet bedrohen trotz der Reformanstrengungen die Zukunft der Zeitungen. Selber schuld? Stephan Ruß-Mohl, Professor für Journalismus und Medienmanagement an der Universität Lugano in der Schweiz, formuliert es so: Zu viele Medien hätten zu lange Zeit das Publikum in dem Glauben bestärkt, auch gründlich recherchierte und journalistisch professionell aufbereitete Informationen seien zum Nulltarif oder zumindest zum kleinen Preis zu haben. Die „Wissensklufthypothese“ über den wachsenden Spalt zwischen Besserwissern und Habenichtsen in der Informationsgesellschaft müsste demnach um die Variante der „Geizklufthypothese“ ergänzt werden: Die Geilen werden in Zukunft die Dummen sein. Alle anderen müssen und werden sich daran gewöhnen, dass anständige Zeitungen nicht zum Schnäppchenpreis zu haben sind.
Erlesenes erhalten – weil Zeitungen Netzbeschmutzer sind!
Um (beinahe) zum Schluss noch einmal auf Niklas Luhmann zurückzukommen: Er schrieb, wie eingangs zitiert, dass wir das, was wir über unsere Gesellschaft wissen, aus den Medien erfahren. Luhmann weiter: Andererseits wüssten wir so viel über die Massenmedien, dass wir diesen Quellen nicht vertrauen könnten.
Und woher? Keine Frage – aus den Zeitungen. Achtung, Nestbeschmutzer! Und wie wunderbar, dass wir (noch) Nestbeschmutzer haben, die vor ihrer eigenen Tür kehren und dabei mächtig Staub aufwirbeln! Denn abgesehen von wenigen führenden Zeitschriften und Wochenzeitungen wie Spiegel und Zeit erzählen uns nur die Zeitungen Tag für Tag eine Fortsetzungsgeschichte von: fälschenden Reportern, gierigen Intendanten, bestechlichen Moderatoren, trickreichen Medienmanagern, verführbaren Feuilleton-Chefs. Kurz: von einer Kaste Medienschaffender, die an den hohen moralischen Ansprüchen, die sie an die Objekte ihrer Berichterstattung richten, mitunter selbst scheitert. Zeitungen hacken anderen Krähen ein Auge aus – zum Glück. Denn während sich das Fernsehen allenfalls auf exotischen Sendeplätzen mit dem eigenen Metier befasst (oder, wie die ARD gelegentlich vorexerziert, ihre Nachrichtensendungen als Plattform für medienpolitische Stellungnahmen in eigener Sache benutzt), gehen insbesondere die überregionalen Zeitungen Tag für Tag an prominenter Stelle mit den lieben Kollegen ins Gericht – auf den Medienseiten, ob sie nun kokett „Flimmern und Rauschen“ oder ganz traditionell „Medien“ heißen. In den USA saßen fast alle Medien Colin Powells legendärer Power-Point-Präsentation Anfang 2003 über die Gefahren im UNO-Sicherheitsrat auf – wer entschuldigte sich später dafür? Zeitungen – wie die Washington Post und die New York Times. In Deutschland haben wir einen Presse- und keinen Medienrat; in den USA haben viele Zeitungen, aber nur wenige Sender Ombudsleute, die der eigenen Redaktion mitunter auf die Finger klopfen. Zeitungen reden nicht nur über Qualitätssicherung, sie betreiben Selbstkontrolle.
Die zehnte und letzte These egoistisch in eigener Sache:
Erlesenes erhalten – weil ein krosses Toastbrot am Morgen eine feine Sache ist!
Gelegentlich würde man gern im Morgengrauen unter einer Tarnkappe verborgen durch deutsche Wohnungsstuben schleichen und im frühen Dämmerlicht über die Glasperlen der deutschen Medienindustrie streicheln: die Kaffeemaschine, der Eierkocher, der Toaster? Ein Jahr WAZ-, ein Jahr HAZ-, ein Jahr FAZ-Abonnement. Die „Artemide“-Lampe? Durch zwei Jahre Welt am Sonntag abgebüßt. Das Mini-Radio im Bad? Gab’s zum „Schnupper-Abo“ der Berliner Morgenpost dazu. Kennern verrät das Inventar eines Hauses mehr über den Medienkonsum eines Individuums als mühevolle GfK-Forschung. Während die Öffentlichen-Rechtlichen wie die Wegelagerer vor dem Supermarkt immer noch 'n Euro mehr von uns wollen, werben die Zeitungen mit erlesenen Morgengaben um unser Vertrauen. Schenken wir es ihnen – und zücken das Überweisungsformular: Um Erlesenes zu erhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen