: Ziel ist der mediale Mastdarm der Politik
„Ich will da rein!“ lautet das ultimative Credo der neuen Studierenden-„Bewegung“ – und sei es zur Politikverdauung bei Christiansen. Der kreative Streik muss sich jeder kritischen Intervention enthalten, sonst ist er zu Ende. Er entzückt die aufgeregten Medien – und raubt der Restlinken letzte Hoffnungen
von LENNART LABERENZ
Der Mythos der Demokratie lehrt uns, dass wir zum Protest auf die Straße gehen können. Eine besondere Aufmerksamkeit erfahren hierbei in der Regel Studierende. Offenbar gehört es, seit 68, zur unabwendbaren Erwartung, dass in Deutschland Studierendenprotest so etwas wie grundstürzende gesellschaftliche Veränderung gebären muss. Ängste vor Militanz und heimlichen Sympathie mit der großen Revolution stehen sich widersprüchlich gegenüber.
Die politische Realität zeigt nun allerdings mit schöner Regelmäßigkeit, dass das „Auf die Straße gehen“ kaum etwas bringt. Gegenwärtig sehen wir sogar, dass das Gros der Proteststudierenden ins Konservative tendiert. Ein so genannter kreativer Streik entzückt die aufgeregten Medien – und raubt der dezimierten Linken letzte Hoffnungen. Studierende springen in langsam fließende Gewässer („Bildung geht Baden“) und spekulieren darauf, so zum anerkannten Ansprechpartner des Staats zu werden. Sie machen sich selbst naß dabei.
Auffällig ist ein eigentümliches Missverständnis der Kritik, die Studierende respektive die Universität in sich trügen. Tatsächlich haben Akademien seit dem Mittelalter einen systemstablisierenden Charakter. Universitäten mehrten das Prestige des fürstlichen Stifters, heute würde man es Standortfaktor nennen – gut für Verwaltung, Wirtschaft und Studientourismus. Bürgerliche Studierende wollten sich von jeher über juristische und Lateinkenntnisse in die aristokratische Elite promovieren. Erst in den 1960er-Jahren wurde die Uni zum Korrektiv staatlicher Fehlgriffe. Doch die Spiegel-Affäre, in der Studenten durch ihr „J’accuse“ zu politisch wirksamen Intellektuellen wurden, und die zur Legende geronnene Jahreszahl 1968 verdecken nur den Blick auf die Realitäten an Hochschulen.
Studierendenprotest ist eine vertrackte Sache. Obendrein friert es nun auch noch auf den Straßen. Studentischer Streik heißt auch, sich selbst zu blockieren – solange nicht autonome Seminare eine andere Form von Lernen ermöglichen. Wenn die Studis sich dennoch hinauswagen, lässt das auf gute Winterkleidung schließen. Und auf ein hartnäckiges Maß an Hoffnung, dass man mit öffentlichen Vorlesungen in der Haushaltspolitik mitfeilschen könne.
Die meisten Studierenden haben sich aufgemacht, am demokratischen Mythos weiterzubasteln. Aber ihren Forderungen ist jeglicher emanzipative Gehalt gegenüber dem politisch-ökonomischen System abhanden gekommen. Das Gerede von den linken Asten ist eine Mär. Nur bisweilen tummelt sich hier noch progressive Kritik. In Wahrheit aber sind viele Studierendenvertretungen kaum mehr links – ihre Mehrheit wird wieder von den Jusos organisiert oder gar vom RCDS. Selbst große Universitäten wie Köln, Frankfurt oder München und alte linke Trutzburgen wie Göttingen sind oft in der Hand derjenigen, die lieber auf Parteikarrieren hoffen, als inhaltliche Kontroversen zu provozieren. Traditionell initiieren Asten die anarchischen Rhythmen des Protests nicht – sie laufen ihnen hinterher.
Dabei wird die gegenwärtige „Bewegung“ durch zwei Kräfte geprägt: Ein auch unter Linken angesagter Bewegungsfetischismus und eine kaum reflektierte Reproduktion des allmächtigen Standortdenkens. Einerseits also Bewegung um der Bewegung willen. Mal was lustig Rebellisches probieren, das ganze „Netzwerk“ nennen und hinterher schlau drüber reden. Ein bisschen Attac hat sich, für den Augenblick, ins Lebensgefühl selbst von Zahnmedizinstudenten eingeschlichen, die eigentlich nur streiken, weil sie im Wartesaal Universität ungern Zeit auf dem Weg zu sechsstelligen Honoraren verplempern wollen. Kürzungswillige Finanzminister verzögern die Karriere. Also kommt ein Nachdenken über „alternative Finanzierungsmodelle“ heraus – und unterm Strich ein nichts als kreativer Streik.
„Die neue Bewegung will keine Energie verschwenden“, urteilt die Zeit ganz richtig aus ihrer arrivierten Position heraus, „schon gar nicht mit Ideen, die schon einmal nicht funktioniert haben“. Die Studentenbewegung will folglich auch nicht überlegen, warum was denn genau nicht funktioniert hat. Die Studierenden 2003 charakterisiert die Entkopplung vom lebensweltlichen Ansatz politischer Kritik von dem, was in der Universität gelernt wird. Progressive Kritik verlässt kaum mehr die Seminarräume, im Alltagsleben können immer weniger StudentInnen mit Systemkritik und Utopie etwas anfangen – außer es für die nächsten Klausuren zu büffeln.
Die linke Zeitschrift jungle world ätzt über die Proteststudierenden: „Sie fordern mehr Kapital, um ihre Verwertbarkeit zu steigern. Studiengebühren werden befürwortet, solange sie Ausländern, Senioren oder so genannten Bummelstudenten abverlangt werden.“ Der Protest verschließt sich explizit linker Interventionen. Wortmeldungen von links werden im Publikum als „Ideologie“ angefeindet und abgelehnt. Viele AktivistInnen wollen sich explizit als „unideologisch“ verstanden wissen.
Allerdings zögern auch viele Linke bei der Frage nach der Universität als Raum der Intervention. „Wo sind sie denn, all die Linken?“, rufen jene genervt, die in ReferentInnen-Räten im Osten und Asten im Westen auf die Möglichkeit der Politisierung gehofft hatten. Es scheint, dass viele sich von der „bürgerlichen Wissenschaft“ und ihrer zunehmend fabrikhaften Reproduktion in den Hochschulen zurückgezogen haben. Die sind kein Feld der Auseinandersetzung mehr, sondern wieder eine längere Berufsausbildung.
Studentischer Protest ist heutzutage kaum mehr als die Interessenvertretung einer hochprivilegierten Schicht im Sinne der formidabel funktionierenden Logik des Kapitals. Darüber wird jede Vollversammlung zur intellektuellen Marter. Auch die altbackene GEW-Losung von der „Bildung als unserer Zukunft“ wird bejubelt. Während die Zahl der Studierenden in Deutschland aus nichtakademischem, sozial schwachem oder migrantischem Hintergrund sinkt, macht der Protest Politik, indem er sich über die Behinderung des subjektiven Leistungsstrebens beschwert. „Bildung ist Zukunft“ meint Sparen als Problem bei der Produktion von Humankapital.
An einem Streikposten entspann sich folgender, symbolträchtiger Dialog, nachdem einem Juristenseminar der Zugang verwehrt wurde. Jurastudent (verärgert, über Gewalt und Minderheitenschutz schwafelnd): „Aber ich will doch was lernen, ich find das geil.“ Streikposten (jung, recht gelassen): „Dann musst du gegen die Kürzungen protestieren. Die bedrohen auch dein Seminar.“ Klar, wenn das eigene Institut weggespart wird, dann wird der Glaubensvorrat knapp, die akademische Ausbildung in ein privilegiertes Leben ummünzen zu können.
In diesem Sinne ist der studentische Protest hoch politisch, er rüttelt längst an den Gattern relevanter und prestigeträchtiger Institutionen und formuliert sein „Ich will da rein!“. Tatsächlich also wollen Studierende „mit den Politikern“ reden. Oder gleich, wie kürzlich jemand auf einer Vollversammlung der Humboldt-Universität durch das Mikrofon sagen durfte, „sich auch mal an Unternehmen wenden“. In der Folge mahnwachen sie vor Parlamenten oder wollen in den medialen Mastdarm der Politik kriechen: zur sonntäglichen Politverdauung bei Christiansen – ohne einen Anflug von Scham oder etwa Kritik an der intellektuellen Würdelosigkeit des Sendeformats. Sinn und Zweck ist die Selbstvermarktung. Versuche, andere soziale Gruppen in den Protest einzubeziehen, verkommen zur Farce.
Während also die kolonisierenden Wirkungen der Erwerbsarbeit die Mechanismen an den Hochschulen formen, stellen sich Studierende allenfalls den Mittelkürzungen oder der Drohung von Studiengebühren entgegen. Als vergangenen Sommer die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge samt ihrem Punktesystem zur Umtauschbarkeit der Seminare angreifen wollten, blieben die Straßen leer und die Proteste aus. Die Mehrheit hatte offenbar begriffen, dass mit der so eingeführten Kanonisierung von Bildung der Karrieredurchlauf durch die Uni beschleunigt und so fix der Zugriff auf die besten Jobs gewährleistet wird.
In einem schönen Brettspiel („Junta“), in dem ein Diktator ein stabiles System von Korruption, Loyalität und Kontrolle etablieren muss, um sich dauerhaft an Entwicklungshilfegeldern bereichern zu können, gibt es eine Reihe von Störfaktoren. So kann ein Putsch unter anderem auch durch Proteste unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen bedrohlich verstärkt werden. Eine im Spiel vorkommende Ereigniskarte bildet demonstrierende StudentInnen ab. Ihre Wirkung: keine – außer dass sie für einen Moment der Erheiterung sorgen.
Lennart Laberenz, 27, studiert, ach!, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaften im 11. Semester