Pretty in Punk

Es führt eine fragile Linie vom spitzen Bleistift zur Punkpoesie: Eine Ausstellung in München zeichnet ein kollektives Porträt von Patti Smith

VON IRA MAZZONI

Hat jemand diese Pressekonferenz aufgezeichnet? Diese private Sprechstunde der Patti Smith? Ihre Geisterbeschwörung von Robert Mapplethorpe? Die monologischen Arabesken einer Künstlerbiografie? Diese mädchenhaften Glaubensbekenntnisse einer 58-Jährigen? Ihre naive Babylon-Mythologie? Den World-Trade-Memorial-Kitsch? Nicht? Schade. Es war – eine Offenbarung. Diese dürre Frau mit dem wirren grauen Haar, den schmalen Augen und scharf konturierten Gesicht überzeugt magisch durch ihre bescheidene Präsenz. Eine mitteilsame Ikone.

Zur Ausstellungseröffnung erzählt sie im Münchener Haus der Kunst, wie sie Altaramäische Manuskripte kopierte und so zur kaligrafischen Linie fand. Sie erinnert, wie sie zusammen mit Robert Mapplethorpe, Seite an Seite sitzend, nächtelang gezeichnet habe. Wie die Linien in Worte flossen, Poesie wurden und wie ein Überschuss an Energie dazu führte, dass sie begann, die gestischen Chiffren und Lyrismen aufzuführen. Vom spitzen Bleistift führte so eine fragile Linie zur Punkpoesie. Mapplethorpe hat sie immer ermutigt. Sie hat ihm die erste Kamera in die Hand gedrückt: eine Polaroid. „Horses“, das erste Album von Smith, 1975 von John Cale produziert, wurde das Dokument der konspirativen Freundschaft: Der Fotograf Mapplethorpe schuf die Ikone – die Auferstehung Arthur Rimbauds in Zeiten des Pop.

Alles, was Patti Smith erzählt, schmal und grau in dem großen, dämmrigen Gartensaal, ist Legende. Kurz nach dem Tod Mapplethorpes im März 1989 nahm sie die Kamera in die Hand, die sie ihm einst überlassen hatte. So sind auch ihre Fotos in der Ausstellung zu sehen, private Miniaturen in kostbaren, altmeisterlichen Abzügen.

Die Ausstellung „Strange Messenger“ ist keine für Kunstkritiker, sondern für Liebhaber. Sie ist genauso privat und intim wie das Pressegespräch oder die gesungen Poesie-Soireen. Es geht um Freundschaften: Dan Grahams’ Videodokumentation „Rock my Religion“ ist zu sehen, genauso wie die Fotonotate des Schweizers Franz Gertsch und die Sommerkollektion der Modemacherin Ann Demeulemeester mit perlenbestickten Baumwollbändern zu Smith’ Dichtung „Woolgathering“.

Hier wird kollektiv ein Porträt gezeichnet. Die Kompositionen von Smith verlangen quasi religiöse Zwiesprache, weil sie aus ihr hervorgegangen sind. Dabei entsteht neuerdings hochgestimmter Kitsch, wie in der Serie „Cross Section“ aus dem Jahr 2001, einer zittrigen Meditation über das Marmorkreuz, das sie von Mapplethorpe erbte. Genauso hilflos wirken die Variatonen über das Babylon-Motiv nach dem 11. September. Das Thema der desaströsen Sprachverwirrung ist seit langem Leitmotiv von Patti Smith. Die Geschichte von der gottgewollten Unmöglichkeit grenzüberschreitender Kommunikation hat die Wortkünstlerin angezogen. Ihre daraus resultierende simple Erlöser-Botschaft lautet: Wir müssen kommunizieren – we have to communicate.

Ihre World-Trade-Babylon-Bilder sind Illustration: zwei leere Bütten-Bögen und darüber das Absperrband der Sicherheitsbehörden. Worte der Sprachlosigkeit, Bilder der Bildlosigkeit. Das andere Extrem: die Struktur der Fassadenfragmente nachgezeichnet mit winzigen Schriftzügen eines altjüdischen Textes, dem Friedensgesang der Glaubensgemeinschaft der Essener. Zum Schluss fließt die kalligrafische Turmpoesie in annähernd arabische Formen.

Das ist schön, das ist edel und von Herzen gut gemeint, genauso wie die schwarze CD für den „amerikanischen Taliban“ John Walker und der Appell, nicht alles schweigend hinzunehmen, was als nützliche „Abwehr des Terrorismus“ gelte. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über – und der Zeichenstift auch: Wäre es Punkrock, man würde die Predigt eher goutieren.

Haus der Kunst, München. Bis 29. Februar 2004