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Archiv-Artikel

Digitales Vergessen

Die Geschichte des Vergessens beginnt mit einem griechischen Mythos: Als Odysseus‘ Gefährten bei den Lotophagen landen, einem Volk an der libyschen Küste, das sich von Lotos ernährt, kosten sie von der süßen Frucht, und flugs sind Schmerz und Pein vergessen, die Erinnerung an die Heimat und der Wunsch dorthin zurückzukehren allerdings auch. Nur mit Gewalt sind die Gefährten wieder auf das Schiff Richtung Heimat zu bringen.

Heute, im Zeitalter der digitalen Systeme, erreicht das Vergessen einen neuen Höhepunkt. Denn was passiert eigentlich, wenn wir unser Gedächtnis an die digitalen Systeme delegieren? Wer sind die Archivare? Und sind die Endlos-Speicher überhaupt in der Lage, „Traditionen des Gelungenen“ zu begründen?

Diesen Fragen geht der Philosoph Manfred Osten in seinem jüngst erschienenen Buch Das geraubte Gedächtnis – Wird die Erinnerungskultur zerstört? nach, das er jetzt im Philosophischen Café des Literaturhauses vorstellt. Er knüpft darin an seinen Essay „Alles veloziferisch“ an, in dem er zeigt, wie viel produktiver die Langsamkeit ist. Am Beispiel ausgewählter Werke Goethes belegt Osten das Scheitern westlicher Zivilisation an der „velocitas“, der Beschleunigung, und dem Teuflischen, Luzifer. Und letztlich bilden für Osten Vergessen, Beschleunigen und Perfektion ein unheilvolles Kartell. Dagegen sind Langsamkeit und Fehlerfreundlichkeit die Paten gelungener Kultur.

Osten beschreibt in seinem Essay die Geschichte des Vergessens als Teil der Kulturgeschichte. Er erläutert dies von der Antike bis zur Gegenwart mit ihren digitalen Speichermedien, die immer komplexer und fragiler werden. Denn einerseits sollen sie das menschliche Gedächtnis entlasten. Andererseits programmieren sie den Verlust des kulturellen Gedächtnisses geradezu vor. Christine Schams

Di, 14.12., 19 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38