DER NEUE FÖDERALISMUS WIRD DEN ERWARTUNGEN NICHT GERECHT : Die fehlgeleitete Reform
Eigentlich sollte es die größte aller Reformen werden. Ob es um das Pisa-Debakel ging oder bloß um die Misere der Hauptstadtkultur, um Pannen bei der Terrorabwehr oder um fehlgeleitete Wirtschaftsförderung: Wo immer etwas schief lief in der Republik, schien die morsche Konstruktion des Föderalismus schuld zu sein. Spätestens seit die Unterhändler vor Jahresfrist die längste Sitzung in der Geschichte des Vermittlungsausschusses mit dunklen Ringen unter den Augen verließen, war für alle Beteiligten klar, dass der deutsche Bundesstaat von Grund auf reformiert werden muss.
Davon war gestern keine Rede mehr. Als sich SPD-Chef Franz Müntefering am Nachmittag mit seinem CSU-Kollegen Edmund Stoiber traf, um letzte Streitpunkte bei der Föderalismusreform zu klären, stand bereits fest: Die große Reform wird nicht kommen. Selbst die Grünen-Fraktionschefin Krista Sager, die mit bescheidenen Erwartungen in die Kommission gegangen war, zeigt sich enttäuscht: Das Ergebnis entspreche „weder den Notwendigkeiten noch den Erwartungen“. Wohl wahr. Die beiden Unterhändler haben zwar Kompetenzen hin- und hergeschoben, doch im Ergebnis ist das Geflecht kaum übersichtlicher als vorher.
Die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze wurde nicht etwa – wie angestrebt – um die Hälfte reduziert, sondern nur um ein rundes Drittel. In der Bildungspolitik, wo die Länder eklatant versagen, droht der Bund auch noch die letzten Kompetenzen zu verlieren. Und selbst der jüngste Kompromiss, etwaige Strafzahlungen wegen verletzter Eurokriterien zwischen Bund und Ländern nach einem festen Schlüssel aufzuteilen, atmet den alten Geist heillos vermischter Kompetenzen: Wo alle für alles zuständig sind, lässt sich niemand zur Verantwortung ziehen.
Wie hätte es auch anders kommen sollen? Wenn die Politik machtvollen Interessengruppen an den Geldbeutel will, delegiert sie die unschönen Entscheidungen gerne an Expertenkommissionen. Wo es um die eigene Macht geht, entscheiden die Unterhändler von Bund und Ländern dagegen selbst. Ihr Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf eines fehlgeleiteten Föderalismus zu ziehen, ist gescheitert. RALPH BOLLMANN