DER PARMALAT-SKANDAL ZEIGT, WIE BOSSE DIE WIRTSCHAFT GEFÄHRDEN : Freiheit braucht Kontrolle
Die Habgier und der Dilettantismus der Bosse im Verein mit desinteressierten Aufsichtsräten und unfähigen – oder gar korrupten – Wirtschaftsprüfern: Das ist nach wie vor die Achillesverse des real existierenden Kapitalismus. Heute Parmalat in Italien; gestern die Holzmann AG in Deutschland. Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Europa gingen in den letzten zehn Jahren verloren, weil die Vorstände von „Weltkonzernen“ nicht nur dilettantisch Milliarden von Euro in den Sand setzten, sondern sich selbst auch weit über Gebühr bereicherten – und das sowohl legal, als auch halb- und sogar illegal. Schließlich müssen alleine schon die oft extrem hohen Gehälter von Vorstandsmitgliedern international operierender Konzerne von den dort Beschäftigten erst einmal erwirtschaftet werden. Und ihre oftmals gigantischen Abfindungen – wie etwa bei Mannesmann (Vodafone) – gleich mit.
Die ganz sicher ehrenwerte italienische Familie Tanzi, deren Padrone Seniore Calisto das zum größten Milch- und Käsekonzern der Europäischen Union avancierte Unternehmen Parmalat einst gründete, soll die Firma um 1,7 Milliarden Euro „erleichtert“ haben – durch Umschichtungen von Geschäfts- auf Privatkonten. Nichts davon bemerkt haben (wollen) die schlafmützigen Aufsichtsräte; und nichts gesehen haben (wollen) die Bilanzprüfer. Im Gegenteil: Jahr für Jahr wurden die gefälschten Bilanzen fleißig testiert. Das schon längst marode Unternehmen florierte so noch – auf dem Papier. Und die Familie griff ungeniert immer wieder in die Kasse. Jetzt klafft bei Parmalat plötzlich eine Finanzlücke von bis zu 13 Milliarden Euro. Und wieder kann der Konzern einen Superlativ für sich in Anspruch nehmen: größter betrügerischer Bankrott in Europa. Und dem wird die größte Entlassungswelle folgen. Oder greift jetzt Berlusconi ein? Wie Schröder einst bei Holzmann.
Und die Moral von der Geschicht? Kapitalismus ist gut. Denn im real existierenden Sozialismus war Dilettantismus, gepaart mit kriminelle Energie, nicht nur auf der Ebene der Ökonomie systemimmanent. Kontrolle ist trotzdem besser. Und die funktioniert nur hoheitlich organisiert. Unabhängige Staatskommissare etwa aus dem Wirtschaftsministerium müssen in die Aufsichtsräte der Großkonzerne – und auch an die Seite der Wirtschaftsprüfer. In den hyperkapitalistischen Vereinigten Staaten schaut der Staat den großen Unternehmen, nach ganz ähnlichen negativen Erfahrungen, endlich ganz direkt auf die Finger: zum Wohle der Volkswirtschaft. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT