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Archiv-Artikel

Das 4-Kilometer-Rätsel

Teile des 4 Kilometer langen Seebades der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ auf Rügen wurden verkauft. Weil die Investoren ihre Pläne für Prora nicht offen legen, fürchten Museumsbetreiber und Anwohner Immobilienspekulation, rechte Cliquen und den Ausverkauf des historischen Ortes

PRORA taz ■ Nach dem Verkauf von Teilen des NS-Erholungszentrums Prora wächst die Sorge, dass ein dubioser Investor mit der geschichtsträchtigen Immobilie spekuliert. Seit Ende September bei einer Versteigerung 625.000 Euro für Block VI des alten Seebades sowie 70 Hektar Wald und Wiese auf Rügen gezahlt wurden, fragen sich Anwohner und Mieter, warum jemand so viel Geld für geschützte Natur und geschützte Ruinen ausgibt.

„Auf dem Grundstück kann laut Flächennutzungsplan nichts gebaut werden“, sagt der Binzer Bürgermeister Horst Schaumann. Die Wälder dort stehen unter Naturschutz. Und der neue Besitzer müsse außerdem für Sicherheit in den denkmalgeschützten Ruinen sorgen. Einnahmen sind zurzeit nur durch das Verpachten von zwei Parkplätzen zu erzielen. Ein Ändern des Flächennutzungsplans sei derzeit nicht vorgesehen, sagt Schaumann. Bislang habe sich der Käufer auch noch nicht mit der Kommune in Verbindung gesetzt, Anfragen zu seinen Plänen wurden nicht beantwortet.

Der Käufer ist die im Fürstentum Liechtenstein ansässige Anstalt für Marktforschung Uniconsulta. Seit 1. November steht diese Firma auch im Grundbuch. Fragen zum Nutzungskonzept oder allgemein zu ihrer Firma beantwortet die Uniconsulta nicht. Als Faxnummer wird ein Anschluss der unter der gleichen Adresse gemeldeten Jura Trust AG angegeben. Diese Treuhandgesellschaft ist für die Vertretung der Marktforscher zuständig. Doch Martin Gstoehl, Verwaltungsrat der AG, beantwortet ebenfalls keine Fragen nach Plänen von Uniconsulta. Gstoehl ist nämlich nicht erreichbar.

Bei den Betreibern von Museen und Bildungseinrichtungen im 4 Kilometer langen Nazi-Bad nehmen derweil Befürchtungen über eine riesige Immobilienspekulation zu. Ein halbes Dutzend Einrichtungen beschäftigt sich hier mit der Geschichte Proras als Seebad der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ und DDR-Offiziersschule oder mit Themen wie der Sozialgeschichte des Nationalsozialismus. „Die Vorstellung, dass wohl situierte Herren aus dem Fürstentum hier der Jagd nachgehen, erscheint zweifelhaft“, sagt Reiner Stommer, Leiter des Prora-Zentrums.

„Dem Bundesvermögensamt geht es offensichtlich nur um eine profitable Verwertung einer Immobilie“, kritisiert auch Uwe Schwarz vom Prora-Museum. Durch die öffentliche Versteigerung könne der Bund keinen Widerspruch gegen den Verkauf von Block VI mehr anmelden und hätte auch keine Mitspracherechte bei der Neugestaltung. Und Jürgen Rostock, Leiter der Stiftung Neue Kultur, befürchtet, dass Rechte hinter dem mysteriösen Käufer stehen.

Noch mehr Sorgen machen sich Rostock und Kollegen allerdings um den Verkauf von Block III an die „Inselburgen GmbH“ von Kurt Meyer. Was der Besitzer des NVA-Museums und der „KulturKunststatt“ plant, ist völlig unklar. Bevor der Verkauf nicht von Bundesrat und Bundestag genehmigt sei, wolle er nichts sagen, meint Meyer. Im Gespräch mit einer westfälischen Zeitung hatte er diffus die Richtung seines Konzepts angedeutet: „Jugend, Sport, Kultur, Kunst und Soziales“.

In der ehemaligen Turnhalle auf Meyers Prora-Stück hatte zuletzt das Prora-Zentrum Ausstellungen über die drei NS-Orte Prora, Peenemünde und Alt Rehse veranstaltet. „Schon jetzt können wir keinerlei Ausstellungen mehr organisieren“, sagt Zentrumsleiter Stommer. Der Bund vermiete wegen der Käufe nicht mehr.

Um ihre Existenz fürchten auch das Prora-Museum und das Dokumentationszentrum Prora. „Meyer wird versuchen, uns über den Preis rauszuekeln“, meint Rostock. Mieten in Höhe von rund 10 Euro könnten mit anspruchsvollen Ausstellungen nicht erwirtschaftet werden. So bemüht sich eine Mietergemeinschaft, die das BVA in den Verkaufsverhandlungen nicht berücksichtigte, jetzt um den separaten Kauf ihrer Räumlichkeiten.

Bedroht sei durch Meyer aber nicht nur die Existenz privater Museen, sondern das öffentliche Prora-Bild insgesamt. „Sollte der Verkauf genehmigt werden, wird das Zentrum von Prora an einen Menschen fast verschenkt, der sich nicht um die historische Bedeutung des Ortes kümmert“, meint etwa Rostock. Meyer vermarkte Prora als eine Art Disneyland. RAIMUND NITZSCHE