: Reigen der Rechtlosen
Ein Grenzstreifen, ein Sweatshop, ein Sperrgebiet: Das Karussell des Künstlers Andreas Siekmann zeigt Szenen aus den Randgebieten der globalen Gesellschaft. Teile davon laden jetzt in der Galerie Barbara Weiss zur Betrachtung ein
Das Schöne an Karussells ist die Qual der Wahl: Soll man sich ins Polizeiauto setzen oder in die Pferdekutsche? Bei Andreas Siekmanns Karussell-Kunstwerk „Die Exklusive – Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten“, das zurzeit in der Galerie Barbara Weiss zu sehen ist, entfällt die Wahl. Zum einen findet in den Räumlichkeiten nur der Viertelkreis eines Karussells Platz, das der Künstler 2002 in Brüssel realisierte. Zum anderen eignet sich keine der lebensgroßen Figuren zum Draufklettern, weil sie aus Holzplatten gefertigt sind.
Genau wie das Miniaturmodell des Kunstwerks, das sich in einer Ecke der Galerie bedächtig dreht, laden die Originalteile des Karussells zur ausführlichen Betrachtung ein. Eine kritische Distanz, die vom Künstler gewollt ist: So konzentriert man sich stärker auf die sechseckigen Bildtafeln, die Siekmann am Karussell angebracht hat, um den politischen Kontext seiner Holzfiguren zu erläutern.
Es funktioniert wie bei den Bilderbüchern, die man als Kind hatte: Sie erklärten einem die Welt, jeweils in gut überschaubaren Ausschnitten – anhand eines Bauernhofs vielleicht oder einer Stadt. Man lernt beim Lesen, wie die Gesellschaft funktioniert, und kann gleich – wie beim Karussell – aus dem Angebot die passende Identifikationsfigur heraussuchen. Siekmanns „Die Exklusive“ weckt solche Kindheitserinnerungen durch die realitätsnahen, farbigen Bildtafeln, die im Stil an Kinderbuchillustrationen angelehnt sind. Diese Tafeln – tatsächlich mit den standardisierten Grafikwerkzeugen des Schreibprogramms „Word“ erzeugt – erklären dem Betrachter fremde Welten, die in den Randgebieten der globalisierten Gesellschaft entstanden sind. Supranationale Machtstrukturen präsentiert als Miniaturkarussell. Wie süß!
Süß? Nur scheinbar, denn Siekmanns Karussell zeigt kein Idyll und bietet auch keine attraktiven Identifikationsmöglichkeiten. Die Figuren des Künstlers stammen aus entrechteten Zonen – dem Grenzstreifen zwischen den USA und Mexiko, einem Sweatshop auf den Philippinen oder den Polizeisperrbezirken bei internationalen Wirtschaftsgipfeln. Die „Bewohner“ dieser Zonen sind Grenzpolizisten, Turnschuhnäherinnen, Flüchtlinge, Wirtschaftsbosse, hochgerüstete Polizisten und NGO-Aktivisten. Nach Ansicht Siekmanns gilt für diese Menschen das traditionelle System der drei Gewalten nicht mehr. Sie werden zu Spielbällen einer vierten Gewalt: „Der Exklusiven“, die man frei mit „Moneten und Macht“ übersetzen kann. Das kapitalistische Bilderbuchparadies verkehrt sich in einen Kampfplatz um Pfründen, kontrolliert durch rigide Sicherheitssysteme.
Schön böse: Siekmann verpackt seine apokalyptische Vision in die harmlose Verkleidung des Kinderkarussells. Der Besucher bleibt vom Didaktikhammer verschont, der bei jedem Kunstwerk mit kompliziertem Kontext droht. Und geht so dem Künstler auf dem Leim, wenn er sich im poetischen Ringelreihen des Miniaturmodells vergisst und dabei ertappt, wie er mit debilem Lächeln die ewige Verfolgungsjagd von Grenzpolizist und Flüchtling begafft.
Nicht jeden reizt der Gegensatz zwischen hübscher Form und grausamem Inhalt: Die Stadt Dresden untersagte Siekmann, sein Karussell um ein Denkmal des Kurfürsten Friedrich August I. aufzubauen. „Das Reiterstandbild als Manifestation der Macht eines barocken Fürsten verträgt keinerlei zusätzliche Anbauten.“ Man sieht: Im Sächsischen funktionieren die drei Gewalten noch vortrefflich. TIM ACKERMANN
Bis 29. 1., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Barbara Weiss, Zimmerstr. 88–89, Mitte