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Archiv-Artikel

Wild und laut und Underground

Der einstige Piratensender TwenFM würde gern professionell senden. Doch die Frequenz hat dem Clubradio der frühere Universal-Chef Tim Renner weggeschnappt – mit seinem Rocksender Motor FM

VON SILKE KETTELHAKE

Die Radioskala in Berlin ist voll – voll mit Sendern, die ein ziemlich gleichförmiges Musikprogramm bieten. Die Perlen im Äther muss man schon mit der Lupe suchen. Oder man stellt abends nach 20 Uhr den Regler auf 104,1 Mhz. Auf dieser so genannten Veranstalterfrequenz, die allerdings nur in der Innenstadt zu empfangen ist, sendet bereits seit fünf Jahren immer wieder das Clubradio TwenFM. Die ersten zwei Jahre als Piratensender, dann zwei Jahre als kulturelles Projekt zusammen mit rebootfm. Und aktuell als Teil eines Programms, dass die Telekom-Tochter T-Systems dort sendet, als Test- und Werbeballon für die Möglichkeiten des digitalen Radios. Doch die Macher von TwenFM wollen längst etwas anderes: eine eigene Frequenz, die 106,8 zum Beispiel, auf Dauer. Doch dort darf nun ab Januar Motor FM senden.

Auch Motor FM ist derzeit noch auf der Veranstaltungsfrequenz zu hören, ab 18 Uhr unmittelbar vor TwenFM. Auch Motor FM generiert sich als Sender für Undergroundmusik. Aber Motor FM konnte den Medienrat, der die Frequenzen vergibt, überzeugen. Motor FM ist ein Projekt von Tim Renner, einst Chef der deutschen Abteilung der Plattenfirma Universal Music.

TwenFM hat eine andere Herkunft. 1999 rotierten dort erstmals täglich in Zwölf-Stunden-Schichten Berlins umtriebigste DJs, Labelmacher und Clubveranstalter. Weiter ging’s in den legendärsten Clubs der Stadt: WMF, Maria, Icon Club, Bastard, Kunst und Technik, 103 etc. TwenFM war und ist wie Berlin, wild und laut, eben Underground. Viele, die damals einfach vor sich hin gemacht haben in den Kellern, sind heute „die Macher“. Die, die es geschafft haben, dem camp-lastigen Versprechen namens Underground Boden unter die Füße zu schieben und schwarze Zahlen zu schreiben. Da will TwenFM endlich auch hin.

Einstige Skeptiker hat das Clubradio schon fast überzeugt. So meint Tanja Mühlhans, Referentin für Film- und Medienwirtschaft bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft: „TwenFM hat sich toll weiter entwickelt, sie sind viel professioneller als vor drei Jahren.“ Anfangs hatte Mühlhans, eine studierte Betriebswirtschaftlerin mit Zusatz Jura und bezeugtem Hang zur Revoluzzermentalität, noch einige Hemmschwellen gegenüber den Machern von TwenFM: „Sie haben eine ganz andere Sprache gesprochen als ich.“

„Aber uns haftet immer noch der Hauch des Konspirativen an“, weiß Sacha Benedetti, der Produktionsesel von TwenFM, wie er sich bezeichnet. „Beim Medienrat ist natürlich so jemand wie Tim Renner sehr willkommen als relativ junger, aber doch konservativer und konformer Typ.“ Drei der ehrenamtlich tätigen Mitglieder des Medienrats stehen im stolzen Rentenalter, die anderen vier sind auch nicht mehr taufrisch.

Benedetti wurmt, dass Motor FM die Frequenz bekommen hat. „Im Grunde genommen haben wir Motor FM die Argumentation geliefert für ihr Sendekonzept – indem wir eben schon seit Jahren lokale Musiker und Labels featuren, das, was nachwächst“, sagt der 32-Jährige. „Das hat sich Motor FM ganz gut von uns freien Radiomachern geklaut.“

Renners Sender wirbt mit dem möchtegern-frechen Slogan: „Es gibt ein Leben neben dem Mainstream“, und verficht die 100 Prozent Deutsch-gepoppt-Quote, damit unter anderem Lederwestenträger wie Heinz Rudolf Kunze mal wieder im Radio gespielt werden. Zudem wollen sie Indierock bringen. Ob die technoide Hauptstadt darauf gewartet hat?

Der Medienrat jedenfalls nennt Motor FM „ein innovatives Angebot, das bisher nicht berücksichtigte Musikrichtungen und Produktionen aus der Region in das Programm aufnimmt“. Susanne Grams, Sprecherin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, der der Medienrat unterstellt ist, nennt noch einen weiteren Vorteil von Renners Projekt: „Die bieten eine wesentlich stärkere wirtschaftliche Stabilität.“ Und Senatsreferentin Tanja Mühlhans ergänzt im besten Denglisch: „Bei Motor FM sitzen eben Vermarktungsprofis, die wissen, wie sie mit ihrem Content Network machen können.“

Auf seiner Website informiert Motor Music über ein zusätzliches Angebot: „Wir bieten unserer trendbezogenen Nutzerschaft aus der Fülle von Musicload-Titeln Songs, die für unsre User von Bedeutung sind und oft bis zu zwei Wochen vor CD-Veröffentlichung downgeloadet werden können.“ Hier kann man sich endlich mal wieder richtig hip und trendy fühlen.

Vor einigen Jahren noch verhandelte Benedetti mit Renner, um vielleicht gemeinsame Sache zu machen: „Wir dachten, okay, wenn wir schon ein Genreformat aufbauen, dann ist es nicht dumm, wenn wir ein Vermarktungs-Back-up haben. Es hat sich aber ganz schnell herausgestellt, dass wir sehr verschiedene Interessen haben.“ TwenFM sei auf elektronische Musik ausgerichtet, Motor fahre hingegen eher die deutschrocklastige Schiene.

„Das pisst uns alles schon extrem an“, sagt Benedetti. Zumal das Clubradio längst nicht mehr so unkommerziell sei wie noch zu Piratensenderzeiten. Seit einem Vierteljahr hat TwenFM Kontakte „zu so klassischen Jugend-Consumer-Anbietern wie Red Bull“, sagt Benedetti. „Früher mussten wir nicht an Wirtschaftlichkeit und Konkurrenz denken. Jetzt merken wir, dass da oben im Feld der Massenmedien die Luft immer dünner wird.“ Drei Leute betreiben derzeit den Sender – im Fulltimejob. „Früher konnte bei uns einfach ein Moderator sitzen, der ordentlich draufklopft“, erinnert sich Benedetti. „Aber das geht nicht mehr. Wir fahren jetzt eine professionelle redaktionelle Linie. Da begucken uns einige Linke schon sehr kritisch.“ Nun sei die größte Herausforderung, Kommerzialität und Glaubwürdigkeit unter einen Hut zu bekommen.

Bei den DJs hat der Sender jedenfalls noch einen Stein im Brett. „TwenFM ist wichtig, ich lege hier supergerne auf, hier spielen die Leute aus den illegalen Clubs“, sagt etwa Christine Lang von „Femmes with fatal beats“. Sie war eine der ersten Frauen, die mit 2Step und Drum and Bass in Deutschland den Schweiß von den Wänden perlen ließ. „TwenFM bringt die Idee der Londoner Radios, tatsächlich neue, interessante Musik zu spielen, nach Berlin“, ergänzt Lang.

Ein Angebot von der Konkurrenz Motor FM würde sie dennoch nicht ablehnen. „Wahrscheinlich würde ich da auflegen. Die meisten DJs leiden unter Geldmangel. Da würde keiner Nein sagen.“ Schließlich stehe hinter dem Plattenauflegen auch kein politisches Weltbild, sondern einfach Underground-Kultur. Dabei sind ihr die Konsequenzen klar: „Irgendwann beherrschen die ökonomischen Zwänge auch den Underground und dann fällt alles an experimentellen, avancierten Formaten hintenüber.“

Noch aber rumsen die Plattenteller bei TwenFM auf Sendung, ein paar Jungs kramen in ihren Plattenkoffern, das DDR-Linoleum müffelt. Sacha Benedetti ist überzeugt, dass das Clubradio weiterhin in Berlin zu hören sein muss: „Man muss einfach mal klarstellen, dass die lokale Musikentwicklung kein Produkt von Tim Renner ist.“ Denn viele junge Leute kämen nach Berlin, weil sie anders leben wollten als die Normalos – und etwas anderes erleben möchten. Dazu gehöre eben auch ein anderes Radio, das elektronische Musik spielt. Und für die, so Benedetti, sei Berlin schließlich weltweit bekannt.