: Dublin wird Europas Hauptstadt
Morgen übernimmt Irland die EU-Präsidentschaft. Dann wird die irische Regierung sämtliche Probleme in Europa, Afrika und Nahost lösen. Und falls das aus unerfindlichen Gründen nicht klappen sollte: In sechs Monaten übernehmen die Niederlande
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Sie haben sich sehr viel vorgenommen. Die Iren, die morgen zum sechsten Mal die rotierende EU-Präsidentschaft übernehmen, wollen in den kommenden sechs Monaten eine breite Palette von Themen angehen – vom europaweiten Krankenschein über die Bekämpfung des organisierten Verbrechens bis hin zum Nahostkonflikt. „Wir machen das mit einem Lächeln“, sagte der irische Außenminister Brian Cowen.
Höchste Priorität hat die Lösung der Unstimmigkeiten um die EU-Verfassung, die zum Abbruch des letzten EU-Gipfels Mitte des Monats in Brüssel führte. „Wir sind nicht Teil des Streits“, sagte Cowen. „Das verschafft uns hoffentlich bei allen Seiten eine gute Ausgangsposition.“ Andere Regierungsmitglieder beurteilen die Chancen realistischer: Wenn es funktioniere, sei es schön und gut, sagte ein Staatssekretär. Wenn nicht, müssen sich die Niederländer ab Juli damit herumschlagen. Und der Präsident des Europäischen Parlaments, der Ire Pat Cox, warnte: „Man kann nicht direkt aus dem Krankenhaus zur Teilnahme an den Olympischen Spielen fahren. Man benötigt zunächst etwas Physiotherapie.“
Das wichtigste Ereignis während Irlands Präsidentschaft ist der EU-Beitritt der zehn neuen Mitgliedsländer am 1. Mai. Irland richtet an diesem Tag in Dublin eine „Willkommen-Party“ mit Straßenfesten und einem riesigen Feuerwerk aus, zu der nicht nur die Regierungschefs der 25 Mitgliedsländer, sondern auch der beitrittswilligen Länder Bulgarien, Rumänien und der Türkei eingeladen sind.
„Dass die Erweiterung funktioniert, ist nur der erste Schritt“, sagte Irlands Premierminister Bertie Ahern, der seit fast 20 Jahren an EU-Gipfeln teilnimmt. „Es muss uns auch gelingen, dass das erweiterte Europa für alle Bürger funktioniert.“ Jedenfalls für die ehrlichen: Ahern drängt auf eine engere Zusammenarbeit der Einwanderungsbehörden, der Polizei und Justiz, um die im Amsterdamer Vertrag gesetzte Frist bis 2004 zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens, des Drogenhandels und des Menschenschmuggels zu erfüllen.
Irland will darüber hinaus verstärkt an der Umsetzung des „Lissabon-Programms“ arbeiten, das die EU bis 2010 zur dynamischsten und stärksten Wirtschaftszone der Welt machen soll. Dabei will man auf den Bericht des früheren niederländischen Premierministers Wim Kok aufbauen, der detaillierte Pläne für Investitionen in Innovation und Bildung enthält. Das Lissabon-Programm habe sich für die Bürger bereits teilweise ausgezahlt, findet Cowen: Flüge, Strom und Gas seien billiger geworden; mehr Jobs gebe es auch.
Weltpolitische Themen stehen ebenfalls auf seiner Tagesordnung. „291 Millionen Menschen leben in Afrika unter der Armutsgrenze“, sagte Cowen. „Rund 28 Millionen sind mit Aids infiziert. Mehr als ein Dutzend Konflikte verschärfen die humanitäre Krise. Wir müssen gemeinsam mit afrikanischen Partnern eine umfassende Lösung für diese Probleme finden.“
In Israel löst die irische Präsidentschaft gemischte Gefühle aus. Cowen, der als neuer EU-Repräsentant gemeinsam mit Russland, USA und UNO die „Roadmap“ umsetzen soll, wird Israel Anfang 2004 besuchen. Seine letzte Visite im Juni verlief wenig harmonisch: Er hatte darauf bestanden, Jassir Arafat zu treffen, woraufhin die israelische Regierung die geplanten Gespräche absagte. Irlands Abstimmungsverhalten bei der UNO und öffentliche Äußerungen von Regierungsmitgliedern zeigen, dass es der Dubliner Regierung an „Ausgewogenheit und Verständnis für die furchtbaren Probleme Israels“ fehle, meinte Biran. Ein anderer israelischer Regierungsbeamter sagte, die irische Präsidentschaft sei „eine größere Herausforderung als die jedes anderen Landes – vor allem Italiens“. Israel hält Italien, das die Präsidentschaft heute abgibt, für seinen besten Freund in der EU. Italiens Regierungschef Berlusconi verzichtete im Juni im Gegensatz zu Cowen auf ein Treffen mit Arafat.