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Archiv-Artikel

Wirklich Schuld hat nur der Wind

Eine Windböe kippte auf dem Karneval der Kulturen 2003 ein Tor um, es begrub drei Menschen unter sich und verletzte sie schwer. Jetzt hat das Amtsgericht das Verfahren gegen den Gerüstbauer eingestellt – und verhängte eine Geldbuße

Jäher hätte der Karneval der Kulturen wohl nicht enden können: Am vorletzten Tag des bunten Straßenfestes in Kreuzberg stürzte eines der drei Tore um. Das Südamerika-Tor begrub drei BesucherInnen unter sich, sie leiden bis heute an den Folgen.

Knapp eineinhalb Jahre nach dem tragischen Unglück hat das Amtsgericht Tiergarten jetzt das Verfahren gegen den Gerüstbauer eingestellt – aufgrund „geringen Mitverschuldens“. Der 49-jährige Uwe T. muss lediglich eine Geldbuße von je 5.000 Euro an die drei Geschädigten zahlen.

Dem Unternehmer war fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, bei der Planung und Errichtung des Gerüstes übersehen zu haben, dass die Konstruktion aufgrund der Verkleidung mit Folien nicht mehr standsicher war. Das Portal sei nicht schwer genug gewesen, um ungünstigen Wetterbedingungen, etwa starkem Wind, standzuhalten.

Windböe als Segel

Am 8. Juni letzten Jahres hatte sich eine Windböe in der Folie gefangen, mit der das Tor verkleidet war, und die Konstruktion umgekippt. Der Angeklagte zeigte sich vor Gericht bestürzt über das Ereignis, er könne sich dies aber nicht erklären: Er habe für gleichartige Gerüste den Ballast, der als Gegengewicht dient, von einem Statikbüro ausrechnen lassen. „Ich habe über 30 Jahre fachliche Erfahrung und mit den Gestaltern der Tore über die eventuellen Windprobleme gesprochen“, sagt Uwe T.

Er sei aber über die Details der Dekorierung durch ein Künstlerteam nicht ausreichend informiert gewesen. „Ich habe nicht gewusst, dass es voll mit einer Folie verkleidet wird, sonst hätte ich die Wassertanks mehr aufgefüllt.“ Die Gerüste derartig zusätzlich zu beschweren hätte weder mehr Geld noch viel Zeit gekostet.

Der Koordinator der Künstler, der für die Torgestaltung zuständig war, hat es laut Uwe T.s Anwalt versäumt, seinen Mandanten korrekt über die geplante Folien-Dekoration in Kenntnis zu setzen. „Bei einem zivilrechtlichen Verfahren wird die Schuldfrage neu zu klären sein“, so der Anwalt.

Schwer verletzt wurden bei dem Unglück das Neuköllner Ehepaar Ugur und Gül M. sowie eine 46-jährige Charlottenburgerin. „Ich habe Glück gehabt, dass ich nicht im Rollstuhl sitze“, sagt der 29-jährige Bauingenieur Ugur M. Er habe drei Rehas hinter sich, könne sich aber nach wie vor nicht gut bewegen, erzählt er. Außerdem leide er unter Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen. Auch seine Frau Gül hat mehrere Operationen hinter sich, noch immer müssen zwei Metallplatten und sieben Schrauben ihren Hals stützen. Bei dem Prozess traten die beiden als Nebenkläger auf, wurden aber nicht einzeln angehört.

Ihr Anwalt hatte an den Angeklagten appelliert, eine „Sühnesumme“ von 10.000 Euro pro Opfer zu zahlen, was Uwe T. jedoch ablehnte. „Für den hätte es nicht besser laufen können“, sagte Gül M. nach der Verhandlung. Das Urteil sei zwar juristisch in Ordnung – sie findet es aber „beschämend, dass man auch noch feilschen muss.“ ULRIKE LINZER