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Archiv-Artikel

Die Landschule als Leuchtturm

Eine neue Studie zeigt: Mit Industrie, Beton und Wachstumskernen ist die Entvölkerung Ostdeutschlands nicht zu stoppen. Wichtiger sind „weiche Haltefaktoren“ wie nahe gelegene Dorfschulen, gute Kinderbetreuung oder das traute Eigenheim

VON CHRISTIAN FÜLLER

Wenn die Politik das Ausbluten der östlichen Bundesländer verhindern will, muss sie ihre Förderinstrumente grundsätzlich überdenken. Es geht weniger um wirtschaftliches Wachstum als darum, die wichtigste Abwanderergruppe zu halten – junge Frauen zwischen 18 und 25 Jahren. Sie verlassen die östlichen Länder stark überproportional.

Diese Schlüsse lässt eine Studie der Fachhochschule Magdeburg-Stendal zu, die in ausführlichen Interviews die Motive von 1.000 Abwanderern aus Sachsen-Anhalt zu ergründen suchte. „Weiche Faktoren spielen eine zentrale Rolle“, sagte die Autorin der Studie, Christiane Dienel, der taz. Das 573-seitige Gutachten ist seit gestern im Netz einsehbar (www.menschen-fuer-sachsen-anhalt.de).

Mit einem Trick schaffte es Dienel, 82 Prozent der angefragten Abwanderer auch tatsächlich zu einem Interview zu bewegen: Alle StudentInnen, die via Telefon die Fragen stellten, sprachen einen regionalen Dialekt. „Sie hatten den Klang der Heimat in der Stimme“, sagt Dienel. Die Reaktion der Befragten war oft: „Schön, dass ihr fragt, warum wir eigentlich gegangen sind.“ Neun von zehn befragten Abwanderern bezeichneten Sachsen-Anhalt noch immer als ihre Heimat. 65 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen sagten, sie wollten irgendwann in das Bundesland zurückkehren.

„Das Problem sind die trübseligen Gesichter in der Straßenbahn“, sagt Dienel. Dieser Satz zeigt, wie einfach und doch komplex die Gründe für den Niedergang einer Region sind. Die Arbeit der Professorin für Europäische Politik und Gesellschaft zeigt, dass das Zusammenspiel von Abwanderung und Geburtenrückgang eine Art depressiver Stimmung verbreitet – die dazu führen kann, dass Menschen tatsächlich vorhandene Chancen nicht mehr erkennen. So verlassen viele Uni-AbsolventInnen das Land, ohne Bewerbungen bei einheimischen Unternehmen abgegeben zu haben.

Aussichtslosigkeit setzt einen Teufelskreis in Gang. Wenn die negative Wanderungsbewegung nicht gestoppt wird, schreibt die Autorin der Studie, „wird dies mittel- und langfristig den wirtschaftlichen Aufholprozess Ostdeutschlands gefährden und die gesamte ökonomisch-soziale Struktur der Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringen.“

Dienel fordert daher, sich an europäischen Vergleichsregionen ein Beispiel zu nehmen und eine Art gezielte Elitenförderung in Ostdeutschland zu betreiben. Es gehe darum, einen Mix von Maßnahmen „auf die wanderungsaktivste Gruppe der jungen, qualifizierten Erwerbstätigen“ zu konzentrieren. Für die Wissenschaftlerin heißt das: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose sind zwar wichtig, aber sie haben wenig Einfluss auf den anhaltenden Braindrain. Man müsse stattdessen versuchen, „die Besten zu halten und zu holen“.

Die Studie widerlegt dabei viele Thesen gängiger Politik. Wachstumskerne zu fördern wäre demnach nicht etwa hilfreich, „sondern führt unvermeidlich zu einer Verschärfung regionaler Disparitäten“. Der Erwerb von Wohneigentum wäre zu fördern und nicht zu erschweren, weil dessen Rolle als Haltefaktor für Familien „gar nicht überschätzt werden kann“.

Auch die gängige Politik der Ostländer, die Bildungskapazitäten den sinkenden Schüler- und Studentenzahlen in der Region anzupassen, ist kontraproduktiv. Keine Infrastrukturmaßnahme könne die „Abwärtsspirale des Verlustes an Humankapital“ ausgleichen. Oder in den Worten Dienels: „Ostdeutschland muss deutlich über Bedarf in Hochschulen investieren. Unis machen das Land attraktiv für junge Hochqualifizierte.“

Dienel empfiehlt daher eine aktive Bildungspolitik. In den ländlichen Regionen Finnlands etwa zählten kleine Landschulen zu den Stützen einer wissens- und technologieorientierten Regionalpolitik. Die Dorfschulen veranlassten dort die Menschen zur Rückkehr. Und der Ausbau von Hochschulen, so Dienel, war „das bei weitem wichtigste Werkzeug, um gerade junge Menschen im Land zu halten“.

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