In den Finger geschnitten

Bis morgen steht Theo van Goghs letzter Film im Internet. Der Thriller „06/05“ dreht sich um den Mord am Rechtspopulisten Pim Fortuyn, für den van Gogh letztlich die Linke verantwortlich macht

VON ULRIKE HERRMANN

Kein Film könnte von so trauriger Ironie sein: „06/05“ ist ein Action-Thriller über den Mord an Pim Fortuyn – und zugleich das letzte Werk des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh, der vor sechs Wochen von einem Islamisten in Amsterdam erschossen wurde. Nun wird „06/05“ erstmals im Internet gezeigt und für viele niederländische Kritiker gehört der Thriller „zum Besten, was van Gogh je gemacht hat“ (Volkskrant).

Was geschah am 6. Mai 2002 wirklich? Auch im Film wird Pim Fortuyn von Volkert van der Graaf erschossen – doch ist es nicht die einsame Tat eines radikalen Tierschützers. Stattdessen durchkreuzen sich, klassisch Thriller, mehrere Komplotte. Da ist die militante Umweltgruppe „Milieu Offensief“, die Fortuyn als einen Nachfolger Hitlers sieht und einen weiteren Weltkrieg verhindern will. Also wird Gruppenmitglied Volkert mit dem Mord beauftragt. Der niederländische Geheimdienst AIVD weiß davon – und sieht gelassen zu. Denn längst stört Fortuyn im globalen Waffengeschäft. Tatsächlich stand damals im Parlament die Entscheidung an, ob sich die Niederlande an dem amerikanischen Jagdbomber JSF beteiligen. Und tatsächlich hatte sich Fortuyn zunächst gegen das Militärprojekt ausgesprochen, das sich inzwischen zu einem finanziellen Fiasko entwickelt.

Diese Fakten nutzt „06/05“: Die US-Rüstungsindustrie sowie niederländische Politiker hätten Fortuyn beseitigen wollen, damit unter seinem Nachfolger Mat Herben eine Parlamentsmehrheit für den JSF zustande kommt. Daher ließ man die Umweltspinner gern gewähren, die – so die etwas platte Ironie – jenen Mann als einen Hitler missverstehen, der als Einziger die Aufrüstung hätte verhindern können.

Für seinen Film überblendet van Gogh nicht nur Realität und Fiktion, er bedient sich auch im Fundus der Kinogeschichte: wie in zahllosen anderen Thrillern ist es ein ahnungsloser Pressefotograf, der die entscheidenden Figuren auf seinen Film bannt. Natürlich im Hintergrund. Denn eigentlich sollte er einen niedlichen Serienstar fotografieren.

Handwerklich ist der Film konventionell, aber ambitioniert, drei Handlungsstränge kreuzen sich ständig. Es fehlt auch nicht an Verfolgungsjagden, Schusswechseln oder Fenstersprüngen. Allerdings ist die Spannung nicht das Wichtigste: schon nach 30 Minuten sind die Täter und ihre Motive weitgehend entschlüsselt.

Mit dem Problem der Vorhersehbarkeit haben alle Filme zu kämpfen, die historische Fakten neu deuten. Doch anders als etwa Oliver Stones „JFK“ ist „06/05“ erkennbar fiktional. Selbst Pim-Fortuyn-Fans nehmen nicht an, dass ihr Idol einer weltweiten Verschwörung zum Opfer fiel. Ein Erkenntnisgewinn bleibt aus.

Aber Fiktion macht zumindest frei; van Gogh nutzt das, um sich über den niederländischen Geheimdienst lustig zu machen, bei dem sein Vater jahrelang gearbeitet hat. Kein Klischee wird gemieden. So sitzt der fette Konspirator van Dam meist rauchend auf seinem Heimtrainer, natürlich im leicht fleckigen Morgenmantel; die strähnigen Haare werden unter einem verschwitzten Handtuch noch strähniger. Reicht dieser Gag nicht, dann klingelt sein Handy im Papageienton oder aber er bearbeitet seine feisten Finger mit einer Nagelfeile. Das ist amüsant, aber die Ridikülisierung des Geheimdienstes mindert die sowieso geringe Spannung.

Die Konsequenz ist bizarr und hat mit der Regieleistung von van Gogh wenig zu tun: „Am packendsten ist der Film dort, wo er vorgibt, dokumentarisch zu sein“, urteilt das NRC Handelsblad. Gemeint sind die echten Fernsehmitschnitte, die eingestreut wurden. Sie zeigen berühmte Szenen aus dem Wahlkampf 2002. Man sieht etwa den damaligen Parteichef der Grünen, Paul Rosenmöller, der feststellt, dass sich Fortuyn mit seinem Populismus „definitiv in die Finger geschnitten hat“, und hinzufügt, dass „das Bluten hoffentlich nicht bis zum 15. Mai aufhört“. Das war der Wahltermin, neun Tage vorher wurde Fortuyn erschossen.

Die Botschaft der Montage ist klar, sie wird auch im fiktionalen Teil ausgesprochen: „Hier wird so gehetzt, dass er einfach sterben musste.“ Und zwar von den linken Parteien. Im Weltbild von van Gogh haben sie es letztlich zu verantworten, dass „der größte Oppositionsführer, den dieses Land je gekannt hat, ermordet wurde“. Bis morgen ist van Goghs letztes Werk im Internet zu sehen, allerdings nur auf Niederländisch. Ende Januar wird „06/05“ auf dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam gezeigt, danach kommt der Film in die Kinos.

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