„Historische“ Abschiebung

FLÜCHTLINGE Scharfe Kritik an Italiens Rückführung von 227 Boat People nach Libyen ohne Anhörung

BERLIN taz | Italiens Küstenwache hat 227 im Mittelmeer aufgriffene afrikanische Flüchtlinge nach Libyen zurückgebracht, ohne sie überhaupt an Land zu bringen oder anzuhören. Dieser beispiellose Vorgang sei ein Bruch des Asylrechts, warf gestern die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) den italienischen Behörden vor. „Sie haben diesen Menschen das Recht verweigert, einen Asylantrag zu stellen, und sie Gefahr ausgesetzt“, erklärte der HRW-Flüchtlingsbeauftragte Bill Frelick. „Wir wissen, wie schlecht Libyen bisher zurückgeführte Migranten behandelt hat.“ Das Hilfswerk „Ärzte ohne Grenzen“ sprach von einem „Bruch des internationalen Rechts“. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR sagte, es sei „sehr besorgt“ über den Vorfall.

Die Nationalität der Abgeschobenen ist nicht bekannt. Sie wurden am 6. Mai 56 Kilometer südlich der Mittelmeerinsel Lampedusa von einem italienischen Tankschiff aufgegriffen. Die Küstenwache brachte sie dann sofort auf drei Booten nach Libyen zurück. Drei der 227 Flüchtlinge waren schwangere Frauen, die in Libyens Hauptstadt Tripoli ins Krankenhaus mussten. Italiens Innenminister Roberto Maroni sprach von einem „historischen Tag“ im Kampf gegen illegale Einwanderung. Erstmals sei es gelungen, illegale Migranten direkt nach Libyen zurückzuschicken, statt sie erst an Land zu bringen, ihre Identität festzustellen und ihre Herkunftsländer zur Rücknahme überreden zu müssen.

Im Jahr 2008 landeten in Italien 36.900 Boat People. Laut UNHCR beantragten davon 75 Prozent Asyl, die Hälfte der Anträge war erfolgreich. Jetzt will Italiens Regierung „illegale Einwanderung“ als Straftatbestand einstufen. Am 15. Mai sollen gemeinsame libysch-italienische Seepatrouillen beginnen. D. J.