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Archiv-Artikel

Bandonion darf nicht sterben

Die Blütezeit ist lange vorbei, die Hüter des einst bis nach Argentinien exportierten Instruments kämpfen auf zunehmend verlassenem Posten. In Hamburg aber wird es noch gespielt: Am Sonntag lädt das 75 Jahre alte Wilhelmsburger Orchester „Freundschaft-Harmonie“ zum Tanztee

von Marc Peschke

Jeden Mittwoch verwandelt sich der Funktionalbau des Wilhelmsburger Bürgerhauses in der Mengestraße in einem Ort gelebter Stadtteiltradition. Denn hier üben allwöchentlich die Musikerinnen und Musiker des Wilhelmsburger Bandonion-Orchesters „Freundschaft-Harmonie“ unter der Leitung ihres musikalischen Chefs Helmut Czajka. Werkeln an ihrem Programm, das Leichtes mit Anspruchsvollem, russische Volksstücke, Operettenmelodien, Shanties und Tangos, man könnte auch sagen U- und E-Musik, mit Schmiss und Schwung verbindet.

„Freundschaft-Harmonie“, anno 1929 als Verein musizierender Arbeiter in Wilhelmsburg gegründet, feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag – als eines der wenigen verbliebenen Bandonion-Orchester Deutschlands und das letzte in Hamburg. Dabei war das Bandonion (auch: „Bandoneon“), das nicht gerade einfach zu spielende, 1846 von Carl Friedrich Zimmermann im sächsischen Carlsfeld entwickelte Ziehbalggerät, seit Ende des 19. Jahrhunderts ein echtes Volksinstrument, das vor allem im Vogtland, im Erzgebirge und in Böhmen gebaut und prächtig mit Perlmutt und Strass geschmückt wurde. Exportiert wurden die Instrumente vor allem nach Argentinien, wo deutsche Bandonions dem Tango bis heute mit 144 Tönen die Sehnsucht einhauchen.

Wenn das Wilhelmsburger Orchester probt, können es sich die Musiker gemütlich machen, denn im Gegensatz zum Akkordeon spielt man das links und rechts mit Druckknöpfen ausgestattete Instrument im Sitzen, klassischerweise mit einem kleinen Samttuch über den Oberschenkeln.

Das größte Problem des Vereins ist allerdings der Nachwuchs, erzählt Hans Meier aus Buxtehude, der Erste Vorsitzende und Manager: „Wir sind heute gefragter denn je und könnten eigentlich zuversichtlich in die Zukunft schauen – wenn nicht die Nachwuchsprobleme wären“. Denn das Bandonion, ehemals unverzichtbarer Teil vieler Unterhaltungsorchester, ist ein immer noch gefährdetes Instrument, auch wenn an den Musikhochschulen in Paris und Rotterdam bis heute Bandonion studiert werden kann und neu gegründete Firmen wie etwa die „Bandonion- & Concertinafabrik Klingenthal“ Bandonions in traditioneller Ausführung herstellen.

Die Historie des Bandonions ist legendär, vor allem auch die Art, auf die das Instrument seinen Weg über die USA nach Argentinien fand. Doch die Wilhelmsburger haben zurzeit anderes im Sinn, als über die bewegte Vergangenheit nachzudenken. Denn die Tradition – noch heute musizieren Sohn, Enkel und die Urenkelin des Mitbegründers Hein Kaczmarek in Wilhelmsburg – muss im Hier und Jetzt gelebt werden: Am 19. Dezember lädt das Orchester deshalb zum „Tanztee“ ins Bürgerhaus Wilhelmsburg.

Bei einigen Nummern ist Orchesterleiter Helmut Czajka allerdings noch etwas unzufrieden. Wie ernst es den beinahe zwanzig Spielern und dem Leiter mit ihrer musikalischen Arbeit ist, wird auf der allwöchentlichen Probe schnell deutlich: Immer wieder werden Takte wiederholt, Geschwindigkeiten um eine Winzigkeit variiert neue Varianten ausprobiert. Alles muss punktgenau sitzen. Auf die nächsten 75 Jahre? Hoffnung gibt es, sagt Nicola Kaczmarek, die Urenkelin des Mitbegründers: „Durch die Tango-Welle erlebt das Bandonion eine gewisse Renaissance – von der vielleicht auch das Wilhelmsburger Orchester profitieren wird.“

Informationen über Verein und Termine bei Hans Meier, Telefon 04161-721280. Geübt wird jeden Mittwoch im Bürgerhaus Wilhelmsburg ab 19.30 Uhr. Nächster „Tanztee“: So, 19.12., 15 Uhr. Informationen über das Instrument: www.bandonion-carlsfeld.de