: Teure Schönheitslinien
Aus der Nische der schwulen Literatur in den literarischen Mainstream: Der Bookerpreisträger 2004, Alan Hollinghurst, ist einer der stilistisch sichersten und elegantesten Autoren der britischen Literatur. Mit „The Line of Beauty“ ist ihm nun erstmals ein schwuler Roman von allgemeiner Gültigkeit gelungen
VON SEBASTIAN DOMSCH
Seit Erscheinen seines Debütromans „Die Schwimmbad-Bibliothek“ im Jahre 1988 hat Alan Hollinghurst gerade einmal drei weitere Bücher veröffentlicht. Die Romane des 50-Jährigen entwickeln sich langsam, und man merkt ihnen auf jeder Seite ihre große Sorgfalt an. Dass er trotz dieses zahlenmäßig schmalen Werkes schon seit langem zu den wichtigsten schwulen Autoren Großbritanniens gezählt wird, sagt bereits einiges über ihren Wert aus. Vor zwei Monaten folgte schließlich durch die Vergabe des Bookerpreises für seinen Roman „The Line of Beauty“ die hochoffizielle Bestätigung seiner literarischen Bedeutsamkeit auch außerhalb der Nische der schwulen Literatur.
Die Entwicklung seiner öffentlichen Anerkennung als Schriftsteller zeigt nicht zuletzt auch den Weg dieser Literatur von einer bestenfalls tolerant übergangenen Außenseiterposition hin zum Mainstream der literarischen Aufmerksamkeit. Dass Hollinghurst den Preis gerade für dieses Buch bekommen hat, ist kein Zufall, denn bei aller schriftstellerischen Könnerschaft war sein Blick bis dahin zu exklusiv auf das schwule Leben Großbritanniens gerichtet. Mit „The Line of Beauty“ ist es ihm nun gelungen, einen schwulen Roman von allgemeiner Gültigkeit zu schreiben. Schon sein erster Roman brachte ihm eine Platzierung auf der Granta-Liste der zwanzig besten Nachwuchsautoren Großbritanniens ein. Gleichzeitig wurde das Buch vom kanadischen Zoll wegen Obszönität beschlagnahmt. Seitdem haben sich unter die enthusiastischen Lobpreisungen immer auch pauschale Abwertungen gemischt.
Vielleicht sind es aber nicht nur die Sexszenen, die manchen Kritiker gegen Hollinghurst aufgebracht haben, sondern ist es auch seineWeigerung, homosexuelle Identität in irgendeiner Weise als problematisch darzustellen. Frei von den gesellschaftlichen Restriktionen, die noch um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert Autoren wie Oscar Wilde oder E. M. Forster zu Verstellungen und literarischen Chiffrierungen gezwungen haben, feiert er die Schönheit der schwulen Liebe mit einer anscheinend heute noch manchen irritierenden Selbstverständlichkeit. 1994 gelangte er mit seinem Roman „The Folding Star“ erstmals auf die Shortlist für den Bookerpreis. Aber dann gewann das Buch eine ganze Reihe anderer Preise und wurde nicht selten als eine Art schwules „Lolita“ gefeiert. Bisweilen allerdings ist der Vergleich mit Nabokov und auch mit Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ auch zu Hollinghursts Ungunsten ausgefallen. Es geht in dem Roman um die heimliche und destruktive Liebe eines englischen Tutors zu seinem belgischen Schüler, doch ist diese Geschichte zusammen mit einer Reihe weiterer eingewebt in eine raffinierte Konstruktion um Schuld, Liebe und Schönheit.
Allen Werken des Briten gemeinsam ist vor allem die große Eleganz seiner Prosa. Alan Hollinghurst schreibt sicher mit am geschliffensten und perfektesten in der an Stilisten nicht gerade armen britischen Literatur. Seine Romane sind präzise gearbeitete Uhrwerke, jeder Satz ist so spiegelblank poliert wie das Tafelsilber auf einem englischen Adelssitz, wenn hoher Besuch erwartet wird. Vielleicht geht diese große Kunstfertigkeit ja auf die acht Jahre zurück, die er als Redakteur für das Times Literary Supplement gearbeitet hat. Zu dieser Zeit sah er sich selbst noch als Dichter, und schon seine erste Veröffentlichung, der Gedichtband, „Confidential Chats with Boys“, ließ die literarische Welt hellhörig werden. Allerdings verließ ihn seine dichterische Inspiration im selben Moment, in dem er einen Vertrag für einen ersten Roman bei Faber and Faber unterschrieben hatte.
Die Genauigkeit, mit der Hollinghurst komplexeste soziale Machtspiele zu beschreiben vermag, die sich oft nur in Nuancierungen des Tonfalls oder winzigen Gesten ausdrücken, ist beeindruckend. Dabei ist es egal, ob es um das Verhältnis zwischen zwei Liebhabern oder einem adligen Abgeordneten und einem neureichen libanesischen Geschäftsmann geht, stets macht Hollinghurst mit großer Beobachtungsgabe die Zwischentöne erkennbar. Doch anders, als die Eleganz des Stils erwarten ließe, schreckt er auch nie vor detailreichen Sexszenen zurück. Diese Mischung hat einmal ein Kritiker prägnant, wenn auch nicht ohne ironischen Unterton, als „Jane Austen with cocks“ zusammengefasst. Spätestens für Hollinghursts neues Buch müsste man allerdings Austen durch Henry James ersetzen. Es wäre gar nicht nötig gewesen, den Protagonisten mit einem Dissertationsprojekt zu James auszustatten, denn dessen Präsenz ist durch den ganzen Roman hindurch unübersehbar.
Doch Hollinghursts Bezugspunkte gehen noch weiter zurück in die Vergangenheit, bis zu William Hogarth, dem genialen satirischen Kupferstecher des 18. Jahrhunderts, dessen Karikaturen uns in Deutschland vor allem durch die Vermittlung von Lichtenberg bekannt sind. Weniger bekannt dürfte Hogarths ästhetische Schrift „Analysis of Beauty“ sein, in der dieser das für Hollinghursts Buch titelgebende Konzept der „Schönheitslinie“ entwickelt. Diese doppelt geschwungene Linie (man denke an ein S) verkörpert für Hogarth die Schönheit alles Lebendigen, die sich nicht zuletzt im menschlichen Körper wiederfindet.
Diese und andere Schönheit ist das erklärte Ziel Nick Guests, des jungen schwulen Oxford-Absolventen, durch dessen Perspektive uns Hollinghurst in „The Line of Beauty“ noch einmal einen Blick auf die Achtzigerjahre werfen lässt. Zeitlich knüpft der Roman dabei genau an „Die Schwimmbad-Bibliothek“ an. Es ist das Jahr 1983, die Eiserne Lady hat gerade triumphal ihre zweite Amtszeit angetreten, und die Wirtschaft floriert – zumindest für diejenigen, denen es ohnehin schon gut geht und die den Willen haben, ihre Ziele ohne Skrupel zu verfolgen. Die Feddens, die Eltern von Nicks Collegefreund und heimlichem Schwarm Toby, gehören auf jeden Fall zu dieser Art Menschen, Rachel mit ihrem Familienreichtum und Gerald mit seiner absehbar glänzenden politischen Karriere in der Thatcher-Regierung. Nick zieht zu ihnen in ein Zimmer im Dachgeschoss und lässt sich sehr bereitwillig auf den Glamour ihres Lebens ein, wohl wissend, dass er niemals wirklich dazugehören wird. Seine Homosexualität ist für die Feddens kein Problem, solange sie nicht thematisiert wird.
Der Gang durch die Achtzigerjahre wird exemplarisch in vier Kapiteln beschritten. Im ersten begegnen wir einem unsicheren Nick, ebenso fasziniert wie eingeschüchtert, einerseits vom selbstverständlichen Luxus, in dem er mit einem Mal leben darf, andererseits von den Möglichkeiten, die sich einem jungen Schwulen in London bieten. Im nächsten Kapitel kennt er sich in der Szene bereits bestens aus und ist liiert mit Wani Ouradi, einem jungen Millionär, der ihn mit der Modedroge und der Hartherzigkeit der Zeit bekannt macht. Wani lebt ein Doppelleben, komplett mit Verlobter, und erst Aids reißt diese Fassade ein.
Die Krankheit schleicht sich heimtückisch, aber immer offensichtlicher in den Roman. Während Nicks stockkonservatives Umfeld natürlich der Verlockung nicht widerstehen kann, in der Seuche eine Strafe für diejenigen zu sehen, die nicht in ihr Weltbild passen, wird sie im größeren Rahmen des Romans zu einer Metapher für das Ende einer Zeit, die sich von jeglichen Konsequenzen frei sah. Und dies trifft eben nicht nur auf die Homosexuellen zu, sondern auch auf den Teil der Gesellschaft, für den Schönheit nur fassbar wird, wenn sie mit einem Preis gekennzeichnet ist. Hollinghurst hält den ganzen Achtzigerjahren einen Spiegel vor, und wenn dessen Ränder mit geschmackvollen Ornamenten verziert sind, so wirkt die Fratze, die die polierte Oberfläche zurückwirft, nur umso unvorteilhafter.
Auf Deutsch liegen von Alan Hollinghurst „Die Schwimmbad-Bibliothek“ und der Roman „The Spell“ (dt. „Die Verzauberten“) vor. Beide sind aber nur noch antiquarisch erhältlich. Im Herbst 2005 erscheint die deutsche Übersetzung von „The Line of Beauty“