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Archiv-Artikel

Patchwork ist Mode

VON SASCHA TEGTMEIER

Der Katholizimus ist so erfolgreich wie noch nie. Auf den Cayman Islands zumindest. Dort hat die Zahl der Katholiken in den letzten Jahren um 35 Prozent zugenommen, nirgendwo sonst auf der Welt ist eine Glaubensgemeinschaft so schnell gewachsen wie hier. In Deutschland hingegen laufen den beiden Großkirchen jährlich in sechsstelliger Höhe die Mitglieder weg. Trotzdem sagen Religionsstatistiker, dass die Menschen in Deutschland zur Religion zurückkehren.

Insgesamt ist der Umgang mit Zahlen zur Religion und Religiosität schwierig. Denn wie viel Liter Bier die Deutschen jeden Tag trinken, lässt sich mit einer Zahl ausdrücken. Wie religiös, spirituell, oder gläubig die Menschen sind, lässt sich dagegen mit Zahlen und Skalen kaum fassen. Die erodierenden Mitgliedszahlen der Großkirchen scheinen das viel beschworene Ende der Religion zu belegen: Allein aus der evangelischen Kirche sind in den vergangenen 30 Jahren über 5 Millionen Menschen ausgetreten. Zudem gehen nur etwa 4 Prozent der Evangelen und 15 Prozent der Katholiken zu den Gottesdiensten.

Aber: „Die Zahlen der Kirchenaustritte und Gottesdienstbesucher sagt heute nichts mehr darüber aus, wie religiös die Menschen sind“, sagt Roland Biewald, Leiter der theologischen Fakultät der TU Dresden. Die Säkularisierung mache sich als eine „Entkirchlichung“ bemerkbar, die „nichtkirchliche Religiosität“ würde dagegen sichtlich gewinnen, so Biewald. Die Abkehr von der Kirche hat auch nach Meinung des Religionsstatistikers Steffen Rink vom Religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienst (Remid) kaum religiöse Gründe. „Große Organisationen wie Parteien, Gewerkschaften und die Feuerwehr verlieren auch ihre Bindekraft“, sagt Rink. Das sei keine spezifische Entwicklung bei den Kirchen.

Eine Umfrage unter Leuten, die aus der Kirche ausgetreten sind, belegt, dass Glaubensfragen nicht der hauptsächliche Grund für die Abkehr sind. 73 Prozent der Befragten treten aus, um die Kirchensteuer zu sparen. Nur 18,6 Prozent geben religiöse Gründe für den Austritt an. Der Erfolg anderer Religionen und esoterischer Strömungen spricht dafür, dass die Kirchenaustreter ihre religiöse Heimat an anderer Stelle suchen. „Das Bedürfnis der Menschen, über Grenzfragen des Lebens Auskunft zu erhalten, hat nicht abgenommen“, sagt Theologe Biewald. Durch die zunehmenden Zukunftsängste nehme die Sehnsucht nach Heil und Gesundheit sogar zu. „Diese gefühlte Glaube ist unabhängig von den herkömmlichen Religionen“, so Biewald.

Zunehmend stellen sich daher die Menschen ihren Glauben aus Elementen verschiedener Religion zusammen (siehe Interview). Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele Patchwork-Gläubige es in Deutschland gibt. Davon profitiert vor allem der Buddhismus. Rund 150.000 Buddhisten gibt es mittlerweile in Deutschland, doch darüber hinaus beschäftigen sich noch viel mehr mit fernöstlichen Meditationen. Der Trend ist mittlerweile dermaßen stark, dass sogar die katholische Kirche darauf eingeht – sie bietet buddhistische Meditation an. „Bei den Patchwork-Gläubigen spielt Theologisches kaum noch eine Rolle“, sagt Rink. Vielmehr sei es eine „Abfolge von Moden“. Die Deutsche Buddhistische Union wehrt sich gegen solche Sätze. Mit Lifestyle habe ihre Religion nichts zu tun. „Der buddhistische Weg ist schwer“, sagt Sprecher Hans-Erich Frey, „echte Buddhisten sind keine Patchwork-Gläubigen.“

Anders als die Christen neigen die Muslime in Deutschland nicht dazu, ihre Religion zu vermischen. „Yoga wäre für ein muslimisches Gebet nicht geeignet“, sagt Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats. Der Islam behalte seine Originalität. „Die Religiosität nimmt bei den Muslimen seit dem 11. September zu“, so Kizilkaya. Der Generalverdacht des Terrorismus schweiße die Muslime zusammen. Das bestätigen die steigenden Zahlen der Moscheebesuche. Von den 3,2 Millionen Muslimen besuchten laut dem Islam-Archiv in diesem Jahr durchschnittlich 440.000 Gläubige die Freitagsgebete, 100.000 mehr als noch im Jahr 2000.

Die ohnehin steigende Religiosität könnte nach Meinung des Theologen Biewald auch unter christlich geprägten Menschen bald rapide steigen. „Vielleicht erreicht uns in den kommenden Jahren die Welle aus den USA“, sagt er. Dort haben die wirtschaftlichen Ängste und Unsicherheiten zu einem Aufblühen der Freikirchen geführt.

In Deutschland könnte dieser Trend dazu führen, dass auch die traditionellen Kirchen wieder Aufwind erhalten. Global gesehen ist das Christentum generell auf dem Vormarsch. Laut einer Studie des US-Religionsstatistikers David Barrett vermehren sich die Anhänger der Religionen stärker als der nichtreligiöse und atheistische Teil der Weltbevölkerung. Die Wachstumsrate der Christen beispielsweise liegt mit 1,3 Prozent knapp über dem Wachstum der Weltbevölkerung.