: Blinddarm gewonnen
Endlich hat die Süddeutsche Kassenlotterie ihre Gesundheitsarbeit aufgenommen
Normalerweise vermeidet es Heinz Götz, seinen Mund allzu weit zu öffnen. Dem sympathischen Müllwerker aus Duderstadt fehlen die meisten Zähne, und er schämt sich für diesen ästhetischen Makel. Aber heute strahlt er übers ganze Gesicht und lässt alle Welt an seiner Freude – und an seinen Zahnlücken teilhaben. Er hat aber auch allen Grund zur Freude: Heinz Götz hat das sprichwörtliche Große Los gezogen, den Hauptgewinn bei der Süddeutschen Kassenlotterie. Die Gewinne dieser Lotterie bestehen in medizinischen Behandlungen und sind bei den Mitspielern heiß begehrt. Neben den allgemeinmedizinischen Ausspielungen gibt es fachärztliche Sonderziehungen und das Große Operationslos der Woche.
Die Gewinne sind beträchtlich: Bei einer zahnmedizinischen Sonderziehung werden immerhin 25 Brücken und 50 Kronen inklusive Zahnarztkosten ausgespielt. Heinz Götz gewann zwei Brücken und zwei Kronen. „Damit kann ich zwar noch nicht alle Lücken schließen, aber vielleicht habe ich bei der nächstjährigen Sonderziehung wieder Glück und gewinne die restlichen Überkronungen!“ Der begeisterte Taubenzüchter ist ein unverbesserlicher Optimist – die Wahrscheinlichkeit nämlich, dass er noch einmal einen solchen Treffer landet, liegt im statistischen Nanobereich. Aber an seiner lebensbejahenden Grundstimmung könnte sich so mancher Besserverdiener eine dicke Scheibe abschneiden.
„Jeder ist seines Glückes Schmied“ – diese Kernmaxime christdemokratischer Daseinsvorsorge war auch der Grundgedanke bei der Einführung der Süddeutschen Kassenlotterie. Nachdem sich CDU und CSU über die Gesundheitsreform nicht einigen konnten und das Zerwürfnis zwischen Anhängern der Kopfpauschale und des „Gesundheitssoli“ die Union zu spalten drohte, war die Kassenlotterie der tragfähige Kompromiss, auf den sich die Gesundheitsexperten der Unionsparteien schließlich verständigen konnten. „Die Stärkung der Eigenverantwortung des mündigen Bürgers ist mit der Einführung der Gesundheitslotterie beispielhaft verwirklicht“, meint denn auch Horst Gröbenbichler von der CSU. „Weder müssen wir auf Steuermittel zurückgreifen, noch brauchen wir einkommensabhängige Aufschläge auf die Kassenbeiträge. Jeder Bürger entscheidet selbst, ob er sich ein ganzes, ein halbes oder nur ein Viertellos kaufen soll.“
Kritiker bemängeln, das System der Kassenlotterie sei noch nicht vollständig ausgereift. Und in der Tat, nicht jeder ist so vom Glück begünstigt wie Heinz Götz. Zum Beispiel Frank Schulz aus Helmstedt: Der 48-jährige Werkzeugmacher etwa hätte dringend eine Spenderniere benötigt und kaufte sich deshalb zähneknirschend das teure Los der Kassenlotterie. Tatsächlich gewann er auch nach einem halben Jahr – aber leider eine Blinddarmoperation. Künstlerpech, dass er seinen Blinddarm schon vor Jahren hatte entfernen lassen. „Statistisch gesehen sind solche Fälle aber eher selten“, meint dazu der Direktor der Lotteriegesellschaft, Sven Märzig. „Fast jeder braucht doch in seinem Leben eine Blinddarmoperation. Der eine früher, der andere später. Und je früher sie durchgeführt wird, desto größer ist der Nutzen für den Einzelnen.“
Was aber, wenn der sehnsüchtig erwartete Gewinn in einer Magenspiegelung besteht, der Patient aber an einer chronischen Nebenhöhlenvereiterung leidet? Wer seinen Gewinn partout nicht verwerten kann, kann ihn über eine der Deutschen Kassenlotterie angeschlossene Tauschbörse gegen eine für ihn sinnvolle Behandlung eintauschen. Schon wurden erste Fälle bekannt, dass Gewinne in Form von kostspieligen Operationen meistbietend über eBay versteigert wurden.
Ausgesprochenes Pech hatte jedoch der an akuter Herzschwäche leidende Peter Mendel aus Heppenheim. Zunächst sah er sich noch als Glückspilz, hatte er doch mit seiner Losnummer einen Volltreffer in Form einer Bypass-Operation gelandet. Leider hatte sich der arbeitslose Monteur nur ein Viertellos der SKL leisten können. Da es zwar ein Viertellos, nicht aber eine Vierteloperation gibt, musste er seinen Gewinn „schweren Herzens“ verfallen lassen. Immerhin ist sein Eigenverantwortungsgefühl nun so weit gestärkt, dass er ernsthaft darüber nachdenkt, sich bald ein ganzes Los zu kaufen. Die Kreditfinanzierung hat er bei seiner Hausbank schon beantragt. RÜDIGER KIND