: Skandal! Skandal?
Um echte Probleme geht es in der Dramaturgie von Affären fast nie. Am Anfang steht die Erosion von Macht, es folgen möglichst simple Schlagzeilen – am Ende trifft der Vorwurf miesen Managements
VON RALPH BOLLMANN
Endlich wird Politik mal wieder so dargeboten, dass sie jeder versteht. Eine Abfindung von 250.000 D-Mark für einen Mitarbeiter, der das Unternehmen gar nicht verlässt? Ein Skandal, ganz klar, klarer geht es gar nicht. Das findet auf einmal jeder. Selbst Leute, die an den komplizierten Verflechtungen zwischen Industrie und Politik, wie sie im größten Bundesland seit eh und je herrschen, bislang nicht das Geringste auszusetzen hatte.
Einmal mehr folgen Politik, Medien und Öffentlichkeit in diesen Tagen dem stupiden Schema der Skandalisierung, das Zusammenhänge eher verschleiert als erhellt. Im Streit über die RWE-Bezüge des CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer lässt sich einmal mehr das Drehbuch studieren, dem die Dramatisierung von Affären seit Jahren folgt.
Bevor das Stück auf offener Bühne gegeben werden kann, bedarf es hinter den Kulissen erst mal einer Macht- und Führungskrise. Ob es um Kohls Spendenaffäre ging, um den Berliner Bankskandal oder jetzt um Laurenz Meyer – die Enthüllung wurde erst durch die Erosion der Macht ermöglicht, nicht umgekehrt.
Sodann bedarf es der Konstruktion eines übersichtlichen Sachverhalts, der sich in einer simplen Schlagzeile vermitteln lässt. Um den Kern eines Problems braucht es sich dabei nicht zu handeln. So war etwa im Fall der Berliner Bankaffäre das Grundübel schon immer offenkundig: Der Chef einer landeseigenen Bank war gleichzeitig der mächtigste Strippenzieher im Landesparlament und kontrollierte sich auf diese Weise selbst. Doch ebendieser Klaus Landowsky schwärmte jahrelang, durch seinen Bankjob sei er unabhängig von der Politik. Dafür wurde er sogar bewundert, auch wenn seine Machenschaften in taz oder Spiegel gelegentlich in langen Texten ausgebreitet wurden. Weil die komplizierten Transaktionen aber kaum jemand verstand, blieben die Enthüllungen politisch folgenlos.
Gestürzt wurde Landowsky schließlich, weil er im Zuge dieser Machenschaften auch mal Bargeld von CDU-Amigos angenommen hatte. Es war eine Lappalie im Vergleich zum wahren Ausmaß der Verfilzung, aber das Wort „Parteispende“ genügte, um bei Freund und Feind die nötigen Fantasien auszulösen.
Nicht immer ist ein Skandal als solcher skandalös genug, um einen Politiker ernsthaft in Gefahr zu bringen. In solchen Fällen hilft der Vorwurf des Verschleierns und Vertuschens. Ganz gleich, ob der Politiker etwas Verwerfliches getan hat: Dass er nicht gleich gesagt hat, was er womöglich gar nicht sagen musste, kann ihm zum Verhängnis werden. Auch wenn er nicht gelogen hat, für den Vorwurf des schlechten Krisenmanagements reicht es allemal. Sehr lehrreich war dafür eine Reihe von Skandälchen, mit denen die taz im Jahr 2000 die lokalpolitische Szene der deutschen Hauptstadt, nun ja: erschütterte.
Erst berichtete diese Zeitung, dass ein Senator einen Gratis-Dienstflug im Privatjet des Unternehmers Peter Dussmann absolviert hatte. Dann folgte die Enthüllung, dass sich mehrere Politiker auf einem Focus-Pressefest elektronische Terminkalender schenken ließen.
Die hauptstädtischen Medien, denen die örtliche Polit-Verfilzung bislang weitgehend entgangen war, hatten nun wochenlang genug zu tun. Zerknirscht räumten weitere Senatoren ein, Dienstreisen auf Firmenkosten absolviert zu haben. Von der „Berliner Flugaffäre“ war alsbald die Rede, die Deutsche Presseagentur referierte mit vollem Ernst die Enthüllungen zu einem Senatorenflug im Zeppelin. Sodann bezichtigten Besucher der erwähnten Focus-Party, die ihrerseits lieber anonym blieben, einen Politiker nach dem anderen der Mitnahme von Gratis-Organizern. In der taz hieß es daraufhin jubilierend, der damalige Bausenator Peter Strieder habe in seiner Eigenschaft als nehmhafter Partygast „sogar gelogen“. Deshalb beginne sein Stern „allmählich zu sinken“.
Am Ende ist Strieder dann wirklich zurückgetreten. Aber nicht im Jahr 2000, sondern erst im vorigen April. Und auch nicht wegen irgendwelcher Flug- oder Geschenkaffären, sondern wegen der Misswirtschaft beim Bau des Berliner Kulturzentrums Tempodrom. Die Vorgänge entlarvten den Senator als späte Sumpfblüte aus dem System des alten Westberlin. Das war insofern erstaunlich, als es sich dabei um das wirkliche Problem handelte. Hinzu kam allerdings, dass Strieder als machtbewusster SPD-Landeschef dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit längst lästig geworden war.
Das kann Angela Merkel von ihrem getreuen Generalsekretär nicht sagen. Weshalb Laurenz Meyer ernsthafte Konsequenzen vorerst nicht befürchten muss.