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Archiv-Artikel

Früher war mehr Terrakotta

Zwei neue Filme aus Italien: „Agata und der Sturm“ und „Licht meiner Augen“

Dass Italiens Filme italienische Lebenswirklichkeit einfingen, konnte man in letzter Zeit nicht behaupten. Wobei sich natürlich die Frage stellt, was überhaupt noch wirklich ist in einem Land, das von einem machtgierigen Medienmogul mit Hilfe von Tutti-Frutti-Fernsehshows regiert wird. In so einem Land ist vielleicht einfach nur alles anders. In so einem Land brennen vielleicht wirklich die Glühbirnen durch, wenn ihnen eine schöne Frau zu nahe kommt.

Das ist das Problem der Titelheldin in „Agata und der Sturm.“ Agata wertet den elektronischen Kollaps denn auch als Signal, dass mit ihrer Realität etwas nicht stimmt. Ansonsten ist sie ganz normal: eine gebildete, attraktive Frau über 40, die – warum auch immer – keinen Mann findet. Als sich doch einer in ihr Leben schleicht, ist das Problem nicht gelöst, auch Toaster und Fön geben den Geist auf.

Denn Regisseur Silvio Soldini und seine Hauptdarstellerin Licia Maglietta, vor einigen Jahren mit „Brot und Tulpen“ maßlos erfolgreich, wollen mehr. Nach und nach wird die Handlung ausgeweitet, treten neue Figuren hinzu, bis man nach der Liebe auf ein weiteres uritalienisches Thema stößt: die Familie. Agatas Bruder Gustavo erfährt, dass er als Kind von seiner Mutter verkauft wurde. Plötzlich ist er nicht mehr Bruder, sondern bester Freund. Er verlässt seine Frau – in einer typischen Quasselshow des Berlusconi-Fernsehens als Moderatorin tätig – und zieht zu seinem neuen, wahren Bruder Romeo aufs Land. Der, ein Textilvertreter, betrügt seine behinderte Gattin praktisch jeden Abend mit einer anderen, ohne es je an Zuwendung fehlen zu lassen. Und so weiter. Im Grunde ist es recht sympathisch, wie hier festgefahrene Familienzusammenhänge in kürzester Zeit neu vernetzt werden.

Die eigentliche Geschichte aber wird woanders erzählt, nämlich im wahnwitzigen Design dieser Komödie. Das italienische Wirtschaftswunder der letzten Jahre, das dem gesellschaftlichen Umbruch ja zugrunde liegt, hier offenbart es sich in Inneneinrichtung. Alles ist bunt, schreiend bunt, genauer gesagt: grell pastell. Stil und Eleganz sind passé. Und weil sich die Figuren dieser Oberfläche chamäleonhaft anpassen, reduziert sich auch „Agata und der Sturm“ letztlich zur Geschmacksfrage. Entweder nörgelt man: Früher war mehr Terrakotta! Oder man erfreut sich der neuen Farbigkeit und bildet sich ein, einer herzerfrischenden Komödie mitten aus dem Leben beizuwohnen. Das Leben, das ist hier ein Kindertraum für Erwachsene, mit der elektrischen Agata als neue Amélie der Generation 40 plus.

Bemerkenswerterweise rennt Guiseppe Piccioni mit „Licht meiner Augen“ in die genau entgegengesetzte Richtung. Piccionis Welt ist düster. So düster, dass sich seine Hauptfigur Antonio in einen fiktiven Science-Fiction-Helden mit Namen Morgan hineinträumt. „Morgan war ein Fremder in diesem Land, wie viele andere auch“, raunt Antonio (Luigi Lo Cascio) aus dem Off, während er sein Auto durch das nächtliche Rom steuert. Seine Worte gelten der Stille, der Einsamkeit, die in diesem Nachtfilm bedrohlichen Ausdruck findet. Natürlich ist Morgan eine surreale Überhöhung, ähnlich Agatas Glühlampentick, und hier wie dort weiß man nicht recht, wie ernst man die Sache nehmen soll. Ernst wird es, als Antonio auf einer seiner Touren ein kleines Mädchen anfährt. Er nähert sich langsam der alleinerziehenden Mutter, schläft einmal mit ihr. Heimlich arbeitet er ihre Schulden ab. Auch hier wird eine kleine Patchworkfamilie zusammengeschraubt, doch die Hindernisse scheinen unüberwindlich. Maria (Sandra Ceccarelli) lässt es bei dem einen Mal bewenden. Ihr Herz klopft einfach nicht, wenn sie Antonio sieht.

Piccioni sieht sehr genau hin, geht nah ran an seine isolierten Helden. Das muss er auch. Sein Film spielt nicht nur nachts, sondern auch in extrem kleinen Räumen. Antonios Wagen ist der eine, Marias Laden für Tiefkühlkost der andere. Das Brummen der Kühltruhe, sagt sie, verfolgt sie noch im Schlaf. Trotzdem sitzt sie jeden Tag bis spät an der Kasse, allein mit ihren tiefgefrorenen Gefühlen. Der Rest des Films ist nicht dazu da, die Stimmung zu heben. Das Jugendamt fordert von ihr mehr Fürsorge für ihre Tochter. Antonio macht in seinen Nachtschichten die unangenehme Bekanntschaft von Menschenschiebern. Das Happy End wird äußerst mühsam erzwungen. Schwerer wiegt, dass sich der Film von Antonio nie zu lösen vermag. Er wirkt wie sprachlos und allenfalls redlich in seinen guten Absichten. Ob man den schroffen Gegensatz zu Soldinis Eskapismus nun als Zeichen eines „Kulturkampfes“ betrachtet oder nicht: Italienische Wirklichkeit scheint zurzeit so oder so kein großes Vergnügen.

PHILIPP BÜHLER