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Archiv-Artikel

Die Raupe wird zu einer Spinnfadenfabrik

Einem deutsch-israelischen Forscherteam ist es gelungen, Viren so umzubauen, dass sie im Inneren von Raupen Spinnfäden produzieren

Wissenschaftlern der Technischen Universität München um den Biochemiker Thomas Scheibel ist es gelungen, in Kooperation mit Forschern der Universität von Jerusalem, ein faszinierendes Naturprodukt gentechnisch zu erzeugen: Der elastische, stabile Seidenfaden der Spinne, dem die Wissenschaftler seit Jahren auf der Spur sind, kann nun im Labor synthetisiert werden.

Lange galt es als Rätsel, auf welche Weise diese hauchdünnen Fasern entstehen. Erst vor etwa drei Jahren wurde der Vorhang gelüftet: So genannte Seidenproteine, lange Eiweißketten, geben dem Faden Kraft und Form. Verlässt die Faser nämlich den Leib der Spinne, verbinden sich die kristallinen Proteine zur Fadenstruktur. Auf diese Weise kann das Tier Seidenfasern unterschiedlicher Länge und Festigkeit aufbauen, je nach Bedarf.

Die Münchner Forschergruppe schaffte es, aus diesen Eiweißen im Labor Fäden zu machen. Zunächst isolierten die Wissenschaftler aus dem Erbgut der Gartenkreuzspinne (Araneus diadematus) bestimmte DNA-Fragmente, die in den Zellen die Synthese der speziellen Proteine ADF-3 und ADF-4 bewirken. Beide Biomoleküle gelten bei dieser Spinnenart als wichtige Bausteine für die Bildung der Fäden.

Anschließend überführten die Münchner Biochemiker diese präparierten Gene in ein spezielles Virus, dem so genannten Baculovirus. Dieses ist in der Lage, Insektenzellen zu befallen und sich dort zu vermehren. In einer Petrischale stellten sie Zellen einer Raupe – der so genannten Heerraupe – bereit und „impften“ diese mit den Viren.

Schon nach kurzer Zeit, fast wie von selbst, zeigten sich die ersten feinen Fäden. Doch verhielten sich die zwei Proteine ADF-3 und ADF-4, obwohl ähnlich groß und von vergleichbarer Form, im Experiment völlig unterschiedlich. Nur ADF-4 lagerte sich spontan zusammen, bildete stabile Fasern. Die genaue Rolle von ADF-3 beim Prozess müsse, so der Chemiker Thomas Scheibel, noch erforscht werden. „Solche Erkenntnisse bringen uns bei der kommerziellen Nutzung und der Entwicklung künstlicher Spinnenseiden wieder einen Schritt weiter“, freut sich sein Kollege Uri Gat von der Hebrew University in Jerusalem.

Die dünnen Fasern sind heiß begehrt: Feuerfeste Stoffe, künstliche Sehnen und sogar Fallschirme lassen sich daraus herstellen. Und obwohl die Fäden äußerst zerbrechlich wirken, können sie zwanzigmal mehr Last tragen als Stahl und verhalten sich trotzdem elastischer als Gummi. Damit ist dieses Produkt jeder anderen künstlichen Faser haushoch überlegen.

Im Gegensatz zu diesem Experiment gibt es aber auch Ansätze, bei denen Pflanzen so umgebaut werden, dass sie zur Spinnfadenfabrik werden. Udo Conrad und sein Team vom Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben bei Magdeburg benutzen dafür zum Beispiel ganz gewöhnliche Speisekartoffeln.

JOACHIM EIDING