Weltniveau dank DDR

Posthum verhilft die DDR der Bundesrepublik zu internationalem Fernsehruhm. Nicht nur auf der Fernsehmesse in Cannes erwies sich die Exotik des Arbeiter-und-Bauern-Staates als Verkaufsschlager

Der gerade in Leipzig zu Ende gegangene Programmmarkt „German Screenings“ hat einmal mehr gezeigt, dass DDR-Themen Konjunktur haben. Einkäufer aus Osteuropa, Frankreich und Skandinavien interessierten sich besonders für „Der Stich des Skorpions“ mit Martina Gedeck und Hannes Jaennicke über den „erfolgreichsten Fluchthelfer“ Wolfgang Welsch, der auf der Todesliste der Stasi stand. Beim Durchschauen der Kassette waren die meisten so angetan, dass sie bis zum Ende dabei blieben – für Programmkäufer, die auf solchen Messen möglichst viele Angebote in möglichst kurzer Zeit sichten müssen, ist das sehr ungewöhnlich. Sobald sie mit ihren Senderchefs gesprochen haben, dürften die Deals unter Dach und Fach gebracht werden.

Auch auf der vor kurzem zu Ende gegangenen Mipcom in Cannes, der größten Fernsehmesse der Welt, tummelten sich ausländische Programmeinkäufer am Stand der Vertriebsgesellschaft German United Distributors, ihr Interesse galt vor allem der Dokumentation „Damals in der DDR“.

Geschäftsführerin Silke Spahr ist erfreut: „Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist der nostalgische, aber auch kritische Blick für die Menschen einfach interessant“, analysiert sie. „Wie war das Leben in einem kommunistischen Staat – die Beantwortung dieser Frage hat heute etwas Exotisches.“ Bislang haben immerhin 28 Länder die vierteilige Dokumentation erworben, darunter Estland, Polen, Ungarn, Schweiz, Japan, Zypern und Holland. „Wir setzen uns auf jeden Fall kritisch mit dem Thema auseinander“, betont Produzent Gunnar Dedio. Fünfzehn Jahre nach dem Mauerfall könne man zwar noch keine Bilanz ziehen, aber durch eine subjektive Perspektive, in der 40 Erlebnisse von 40 verschiedenen Leuten vorgestellt werden, soll zumindest so etwas wie eine Annäherung an die Frage stattfinden: Was hat die DDR über 40 Jahre lang zusammengehalten?

Einige Antworten liegen auf der Hand: die russischen Genossen und die Abriegelung durch Mauer und Todesstreifen. „In Deutschland ist die jüngste Geschichte noch lange nicht verarbeitet“, glaubt Dedio, der selbst in der DDR aufgewachsen ist, „jetzt gibt es schon mal eine gewisse Distanz, aber neben einer ernsthaften Aufarbeitung ist die Versuchung der Verdrängung natürlich sehr groß – versuchen sie einmal einen Parteisekretär zu finden, der offen über seine Arbeit spricht: die wollen sich einfach nicht erinnern.“

Die Dokumentation ist ein weiteres Beispiel dafür, wie begierig DDR-Themen in den ausländischen Medien aufgenommen werden. Auch der Fernsehfilm „Der Tunnel“ wurde zum Exportschlager, lief in Japan, den USA und Frankreich sogar erfolgreich im Kino und wurde auf dem Filmfestival in Montreal ausgezeichnet. Fernsehsender rund um die Welt zeigten die deutsche Produktion. Er steht damit in einer Reihe mit „Sonnenallee“ und „Good Bye, Lenin“.

Dokumentationen, Fernseh- und Kinofilme: Es ist ein Phänomen, dass dieses Stück deutscher Geschichte rund um die Welt auf derartiges Interesse stößt. Medienwissenschaftler Jo Groebel dagegen wundert sich nicht: „Die DDR steht stellvertretend für die Ost-West-Problematik und war filmhistorisch ja schon bekannt: als Schauplatz des Kalten Krieges, als Ort der direkten Konfrontation der beiden Blöcke.“ Die „Kalte-Kriegs-Mythologie“ sei besonders durch den Schauplatz DDR gespeist worden, deren Situation Groebel im Ostblock als einzigartig ansieht: „Das Land war ja kulturell mehr dem Westen verhaftet als dem Osten.“ Der ganze Vorgang – die Angehörigen einer gleichen Kultur praktisch wie in einem großen Feldexperiment in unterschiedliche Systeme zu verpflanzen, habe bis heute etwas kaum Fassbares an sich. Groebels Kollege Clemens Schwender von der International University Bremen verweist auf die Macht der Bilder: „Der Fall der Mauer war ein riesiges, weltweites Medienereignis, da erhalten die Menschen einen emotionalen Einblick in Geschichte, als History und als Story.“

Dies weckt offenbar Interesse. „Wenn man diese Bilder sieht, erhält man sozusagen die Ikone der Wiedervereinigung, aber der Blick dahinter findet dadurch nicht statt.“ Aber gerade dieser Blick auf „seltsame, unbekannte Umfelder“ fasziniert laut Schwender die Fernsehzuschauer in aller Welt: „Das ist im Grunde wie Science-Fiction, es werden andere Welten gezeigt, in denen die Personen wiederum sehr menschlich agieren.“

WILFRIED URBE