: „Die Wirtschaft soll für uns arbeiten“
Monika Heimann und Christian Gärtner wollen die Konsumwelt entschleunigen. Als GründerInnen der Kölner Gruppe ‚Agit-Art‘ werben sie dafür, die Arbeit besser aufzuteilen, weniger Geld und Waren zu verbrauchen und dafür viel Zeit zu gewinnen
INTERVIEW VONNATALIE WIESMANN
taz: Trotz der Ängste vor Hartz IV ist der Weihnachtsverkauf im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Ist das absurd?
Monika Heimann: Früher nannte man das „Hamsterkauf“. Wer nächstes Jahr noch zu viel Geld auf dem Konto hat, bekommt halt kein ALG II. Das Weihnachtsfest 2004 war also die beste und letzte Gelegenheit sein Geld vor dem Hartz IV-GAU noch schnell in Waren umzusetzen.
Aber jedes vierte Geschenk wird doch auf Pump gekauft.
Heimann: Das ist reines „Relationship-Management“ – man schenkt der Großtante was Nettes, damit man sie im nächsten Jahr anpumpen kann. Und was rät der Steuerberater am Ende des Jahres für die nächste Steuererklärung? „Machen sie noch schnell ein paar Schulden!“
In der Kölner Fußgängerzone hat ‚Agit-Art‘ mit ‚attac‘ und dem BUND Ende November eine „Entschleunigungsaktion“ durchgeführt. Was soll langsamer werden?
Christian Gärtner: Wir wollten die Passanten zu einem entschleunigten Umgang mit Konsum, Arbeit und Verkehr anregen. Gesellschaft und Staaten müssten dringend darüber nachdenken, Entwicklungen zu verlangsamen, die durch die Globalökonomie zu Schaden für Mensch und Umwelt führen. In der Bundesrepublik werden etwa zu viele Überstunden geschoben und das bei einer immens hohen Arbeitslosigkeit. Im Konsum jagt eine Produktserie die andere; ein PC-Monitor ist nach drei Jahren veraltet. Und ist ein kleiner Schaltkreis durchgebrannt, bekommt man kein Ersatzteil mehr, obwohl das Gerät ansonsten noch gut zu gebrauchen wäre. Im Verkehr ist der Boom der Billigfluglinien eine Katastrophe: Der Flugverkehr steigt und damit auch der Co2-Ausstoß in die Atmosphäre.
Es wird also zu viel gearbeitet, zu viele Ressourcen werden verbraucht und zu viel Co2 in die Luft geblasen?
Heimann: Genau. Das geschieht alles, um das Wirtschaftsvolumen immens zu steigern. Bei einer Wachstumsrate von drei Prozent wird das Wirtschaftsvolumen aber in 23 Jahren verdoppelt, in 94 Jahren versechzehnfacht! Anstatt sich auf die Herstellung und den Handel des benötigten Bedarfs zu konzentrieren, werden wir zwanghaft genötigt, immer mehr zu bedürfen.
Aber mit Konsum wird die deutsche Wirtschaft angekurbelt. Wollen Sie ihren Untergang?
Heimann: Wir sollten nicht für die Wirtschaft arbeiten, sondern die Wirtschaft sollte für uns arbeiten. Aus „Humankapital“ müssen wieder Menschen werden. Die wirtschaftlichen Prozesse führen ein Eigenleben, dem wir uns zunehmend dienlich unterordnen. Es geht nicht um den Untergang der Wirtschaft, sondern um die Umkehrung der Machtverhältnisse zwischen wirtschaftlichen “Notwendigkeiten“ und menschlicher Lebensqualität.
Und was ist ein entschleunigtes Leben?
Gärtner: Viele Menschen mit höherem Einkommen haben beispielsweise den Freiraum, weniger Zeit zu arbeiten und durch Umschichtungen Arbeitsplätze für andere zu schaffen. Der Mittelstand kann die Geldeinbußen gut verkraften. Den Zeitgewinn könnte jeder Mensch verschieden nutzen. Spielen mit den Kindern, Durchatmen, die Zeit für einen umwelt- und sozialverträglichen Konsum nutzen.
Ist das nicht illusorisch? Derzeit werden die Arbeitszeiten wieder länger.
Gärtner: Aber das ist der falsche Weg! Könnte man wirklich einen Trend zum Wenigerarbeiten einleiten, gelänge es vielleicht auch, den Standortwettkampf um billigere Arbeit zu unterlaufen. Man könnte eine Arbeitskultur etablieren, die durch mehr Gelassenheit und Qualität gekennzeichnet ist. Langsamer und genauer arbeiten, qualitativer konsumieren, weniger Stoffe verbrauchen, wohlschmeckende und regionale Lebensmittel konsumieren. Wir sollten uns von den neoliberalen Scharfmachern nicht so hetzen lassen.
Haben wir dann aber nicht zu wenig Geld für die teuren Öko-Produkte?
Heimann: Es gibt auch im Supermarkt inzwischen ökologische Produkte, die kaum teurer sind. Die Konsumenten sind mächtig, sie können mit ihrem Kaufverhalten, Produkte abwählen, die jenseits von sozialen und ökologischen Mindeststandards produziert werden. Image ist ein wichtiges Schmiermittel des Verkaufs.
Gärtner: Wir haben die Idee, eine Online-Datenbank über Firmen aufzubauen, die Sozial- und Umweltstandards unterlaufen. Daran könnten sich Käufer und Käuferinnen orientieren.