der scheibe-wischer : Und es war Sommer …
Zum letzten Mal gewährt heute der Rechtsberater der taz, Peter Scheibe, einen Einblick in die Abgründe des deutschen Presserechts.
Ja, es war Sommer … Oder doch bloß ein sommerlicher Tag? Von dieser Frage hängt der Ausgang eines Prozesses beim Oberlandesgericht Hamburg ab.
Aber der Reihe nach: Die bis dahin als Richterin in Kassel tätige Ehefrau eines Hamburger Bild-Redakteurs wollte ihrem Mann gern näher sein. Was für ein glücklicher Zufall, dass die Hamburger Justizbehörde Anfang Juni 2002 eine Abteilungsleitung ausschrieb. Noch glücklicher der Zufall, als die Journalistengattin Anfang November 2002 die Stelle antreten konnte. Und dazwischen lag nicht nur ein Bewerbungsverfahren, sondern ein langer, heißer Sommer.
Ausgerechnet in Hamburg aber war der Sommer offenbar noch länger als im Rest der Bundesrepublik. Die taz hatte nämlich geschrieben, dass sich der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) während des laufenden Bewerbungsverfahrens mit dem Bild-Journalisten und seiner Frau getroffen habe. Als Quelle für diese Aussage diente der taz eine Pressemeldung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Januar 2003, in der Senator Kusch rückblickend erklärte: „Zu einem Treffen des Journalisten S., seiner Frau und mir in einem Hamburger Café war es im vergangenen Sommer gekommen.“ Ein Satz also, der ziemlich nachvollziehbar klingt.
Ebenfalls nachvollziehbar ist es auch, dass wiederum dem Bild-Journalisten daran gelegen war, jeglichen Eindruck zu vermeiden, seine Kontakte hätten seiner Frau zu einem neuen Job verholfen (umso nachvollziehbarer vielleicht, als ihn der Axel Springer Verlag Ende Oktober 2003 von seiner Arbeit bei Bild freistellte, nachdem er mit dem Schill-Gesundheitssenator Peter Rehaag eine gemeinsame Urlaubsreise angetreten hatte …). Aus Sicht des Ex-Bild-Redakteurs jedenfalls lag es offenbar nahe, eine einstweilige Verfügung gegen die taz-Veröffentlichung zu erwirken.
Weniger nachvollziehbar ist jedoch, dass das Landgericht Hamburg die Verfügung in erster Instanz bestätigte und Kusch, als Zeuge geladen, seine eigene, ursprüngliche Pressemeldung kurzerhand relativierte. Statt „im vergangenen Sommer“ hieß es in seiner Zeugenaussage nun: „Ich habe mich an einem sommerlichen (sonnigen) Tag im Jahr 2002 […] in einem Café […] getroffen.“
Nun unterliegt die Presse allerdings bei offiziellen Erklärungen nur einer eingeschränkten Prüfungspflicht. Und selbst wenn es sich bei Kuschs ursprünglicher Erklärung nicht um eine solche „privilegierte Quelle“ gehandelt haben sollte, käme kein noch so umsichtiger Journalist auf die Idee, ernsthaft nachzurecherchieren, ob ein Justizsenator mit dem Wort „Sommer“ vielleicht doch bloß einen „sommerlichen Tag“ gemeint haben könnte.
In ihrer Berufungsbegründung erlaubt sich daher die taz die Frage nach der Wetterfühligkeit von Hamburger Richtern: „Genügen also blauer Himmel, klare Sicht und Sonnenschein? Dann gibt es jedenfalls für die Kammer auch im Dezember ‚sommerliche Tage‘. Und zählen verregnete, stürmische und kalte Tage im Juli zum Winter?“
Vielleicht hilft aber auch ein Ortstermin in Halle an der Saale: Dort wird gerade die Himmelsscheibe von Nebra ausgestellt. Und mit deren Hilfe finden sich gewiss noch weitere Deutungsmöglichkeiten für den Sommer.
PETER SCHEIBE